© Marco Borggreve

Krause, Andreas

Freiheitskampf am Klavier

Der Komponist als Homo politicus: von Ludwig van Beethoven zu Fazıl Say

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , Seite 12

Kann man vom Klavier aus in aktuelle politische Debatten eingreifen? Berühmte Pianisten-Komponisten haben dies versucht – und hierfür die gewohnten Klanggrenzen des Klaviers verschoben.

Mit Ludwig van Beethovens (schließlich widerrufener) Widmung der Eroica an Napoleon ist der Komponist als Homo politicus, als Kämpfer für Freiheit und Demokratie in die Musikgeschichte eingetreten. In der Folge zu nennen wären Frédéric Chopin, Franz Liszt und Bedrˇich Smetana für das 19. Jahrhundert ebenso wie etwa Hanns Eisler, Luigi Nono und Hans Werner Henze für das 20. Jahrhundert.1 Dass die Enttäuschung über Napoleons Degeneration vom aufgeklärten Konsul der französischen Revolution zum ganz Europa mit Krieg überziehenden kaiserlichen Diktator Beethoven wie viele andere direkt in die Arme der Restauration trieb, wird hierbei gern vernachlässigt.

Ludwig van Beethoven: Sonate „Les Adieux“

Wer der „Eroe“, der Held des Trauermarschs der As-Dur-Klaviersonate op. 26 ist, bleibt unklar. In der Sonate Les Adieux Es-Dur op. 81a ist es dagegen – obwohl Generationen von Pianistinnen und Pianisten einen amourö­sen Hintergrund zu zelebrieren versuchten – dezidiert der Widmungsträger, Erzherzog Rudolph von Österreich.2 Recht realistisch-plakativ wird des Erzherzogs Flucht vor den heranrückenden Truppen Napoleons aus Wien thematisiert, weshalb die Sonate auch nicht ganz frei von grobschlächtigen Momenten ist; wie etwa auch die später im Umfeld des Wiener Kongresses entstandenen Werke Wel­lingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria und Der glorreiche Augenblick.
Komponiert wurde die Les Adieux-Sonate in zwei mehrere Monate auseinander liegenden Schritten: der erste Satz mit der sich in der Coda entfernenden Kutsche des Erzherzogs am 4. Mai 1809 bei dessen Abreise, die Sätze 2 und 3 zusammen bei der Wiederkehr am 30. Januar 1810. In die im zweiten Satz dargestellte Abwesenheit ist also bereits das Wissen über die (erfolgreiche) Rückkehr mit einkomponiert. Und sicher muss man beim Spie­len dieses Andantes und auch schon in der Adagio-Einleitung des Kopfsatzes eher an die politisch-militärisch aufgeladenen Schauspiele von Schiller (Don Carlos oder Wallenstein) und Kleist (Der Prinz von Homburg) denken als – wie Hans von Bülow es für den dritten Satz formulierte – an Tristan-Ekstasen. Dies bedeutet im zweiten Satz: scharfe Punktierung, die sf-Stelle in Takt 27/28 als trotziges Aufbegehren, C-Dur als (noch hof­fen­de) Sieges-Gewissheit, in Takt 35 sammeln sich vielleicht bereits die Truppen etc. (NB 1)

1 Hans Werner Henzes Engagement für die 1968er-Bewegung in Deutschland, gefolgt von seiner Unterstützung der kubanischen Revolution und Fidel Castros, ist durch das 50-Jahr-Jubiläum 2018 wieder in den Blick gerückt, insbesondere durch zahlreiche Aufführungen seines Oratoriums Das Floß der Medusa.
2 Ausführlich Hans-Joachim Hinrichsen: Beethoven. Die Klaviersonaten, Bärenreiter, Kassel 2013, S. 294-311. Die Fehldeutung geht insbesondere auf die beiden wichtigsten Beethoven-Interpreten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, Adolph Bernhard Marx und Hans von Bülow, ebd., S. 299 f.

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