Goldsworthy, Anna

Piano Lessons

Mein Weg in die Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Urachhaus, Stuttgart 2018
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , Seite 51

Tatsächlich erzählt die Pianistin und Essayistin Anna Goldswor­thy in ihrem Buch von weit mehr als dem bloßen Was und Wie der (titelgebenden) „Klavierstunden“, die sie als Heranwachsende in Adelaine (Australien) erhalten hat. Denn indem sich die Autorin detailgenau an jene Lektionen er­innert und vor allen Dingen an das, was ihre aus Russland emig­rierte Lehrerin Eleonora Sivan an die Schülerin weitergibt, macht dieser autobiografisch gefärbte Bericht sehr anschaulich den facettenreichen Reifungsprozess des klavierspielenden Mädchens hin zur gestandenen Pianistin transparent.
Vor allen Dingen aber stellt das hier Erzählte eine warmherzige Huldigung an die Lehrerin dar, an eine leidenschaftliche Musikerin, großartige Pädagogin und beeindruckende Persönlichkeit. „Wir unterrichten nicht Klavierspiel. Wir unterrichten Philosophie und Leben und Musik verdaut. Musik gehört dir. Instrument bist du. – Was ist Ergebnis von kluge, sehr kluge Herz plus freundliche und großzügige Gehirn? Ist kluge Hände! – Klänge sind emotionale Antwort auf und Nachdenken über Inhalte von Herz und Verstand. – Echte Musik immer kommt von und geht zu, und treibende Kraft von Musik immer Liebe.“ Es sind Erkenntnisse wie diese, die Mrs. Sivan ihrer Schülerin immer wieder und durch die Jahre ans Herz legt und die sie in ihrem Entwicklungsprozess begleiten.
Tiefe Einsichten in das Wesen von Musik sind es, genauso wie inspirierende Vorstellungsbilder davon, wie das eigene Musizieren zu einem authentischen werden kann. Und es ist, als verdichte der holprige Sprachfluss der erst kurz zuvor Eingewanderten in diesen Zitaten nachgerade die Essenz des Gesagten, des jeweils Gemeinten.
Dank des unkompliziert-humorvollen Tonfalls, in dem Goldsworthy erzählt, führt die Lektüre mitten hinein in die Atmosphäre jener piano lessons: macht pädagogisches Ethos genauso wie Unnachgiebigkeit in den Ansprüchen der Unterrichtenden greifbar, lässt die menschliche Nähe und doch die im Dienste der Musik immer gewahrte respektvolle Distanz zwischen Lehrerin und Schülerin spürbar werden. Führt hinein auch in den Prozess der klaviertechnischen und musikalischen Fortschritte, die die Erzählerin macht: von den Anfängen als neunjähriges Mädchen, dem die Klaviertasten noch wie „Ein/Aus-Schalter“ vorkommen und dem die bildhaften Aussagen der Lehrerin nicht immer ein­leuchten wollen, über erste Wett­bewerbserfolge und verstörende Zweifel als Jugendliche bis zur schlussendlichen Aufnahme des Klavierstudiums. Die einzelnen Kapitel und also Etappen jener Entwicklung sind dabei überschrieben mit den Komponistennamen der jeweils im Zentrum stehenden Klavierliteratur.
Ein ebenso lehrreiches wie berührendes Lesevergnügen. Über die persönlichen Erinnerungen der Autorin hinaus gibt es hier ein unprätentiös-eindringliches Exempel für das zu entdecken, was wohl die „Kunst des Lehrens“ genannt werden kann.
Gunther Diehl