Deserno, Katharina

Cellistinnen

Transformationen von ­Weiblichkeitsbildern in der Instrumentalkunst

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln 2018
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , Seite 55

Cello wird heute allenthalben von Männern und Frauen gespielt. Das ist nicht selbstverständlich. Bis ins 20. Jahrhundert galt das Cello wegen seines Klangs und der körperlichen Intensität seiner Spielweise als männliches Instrument, unpassend und unschicklich für das „schwache Geschlecht“, das man in Frauen erblickte und biologisch zu fixieren suchte.
Als exzellente Cellistin, Cellopädagogin und Professorin für Musikpädagogik ist Katharina Deserno bestens mit dem Cello, seiner Geschichte und der Didaktik des Cellospiels vertraut. In ihrem umfangreichen Buch erörtert sie gründlich ein bisher noch unerforschtes Kapitel der Geschichte „ihres“ Instruments: seine Genderspezifik.
Wie verlief der Prozess, in dem nach und nach die Festlegung des Cellos als männlich wirkendes Instrument und Domäne männ­licher Musikausübender gelockert und schließlich aufgehoben wurde? Wie wurden im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts, in dem sich dieser Prozess vollzog, musizierende Cellistinnen wahrgenommen? Wie erlebte man ihr Spiel vor dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlich bedingten Idealvorstellungen von Weiblichkeit und von weiblichem Musizieren? Mit welchen Strategien gelang es Frauen, sich das Cello als musikalisches und persönliches Ausdrucksmedium zu erschließen und dabei mit den etablierten Standards eines für Frauen „schicklichen“ Verhaltens umzugehen (bzw. sie mit Geschick zu umgehen)? Wie veränderte sich durch die Überwindung der Gender-Festlegung des Instruments die Ästhetik des Cellospiels?
Diesen und vielen damit zusammenhängenden Fragen geht Katharina Deserno mit Akribie und Scharfsinn nach. Das gelingt ihr hervorragend aufgrund ihrer weit verzweigten profunden Kenntnisse der Gender-Diskurse in diversen Disziplinen, insbesondere in Musikwissenschaft, Kulturgeschichte, Ästhetik, Soziologie und Psychologie. Aus ihnen entwickelt sie ein Forschungsdesign, mit dem sie das weit verstreute Material zur Gender-Geschichte des Cellos umsichtig und differenziert durchleuchtet. So gewinnt sie einen großen Reichtum aufschlussreicher Muster und Strategien der „Transformationen von Weiblichkeitsbildern“ in der Geschichte des Cellospiels.
Die beiden Rahmenteile liefern Grundlagen einer auf den Themenbereich abgestimmten Genderforschung. Der umfangreiche mittlere Teil beschäftigt sich mit zwei für die Entwicklungsgeschichte und Ästhetik des Cellospiels maß­geblichen Cellistinnen: Lise Cristiani (1827-1853) und Guilhermina Suggia (1885-1950). Am Ende verdeutlicht die Autorin eindrucksvoll die Relevanz einer „gendersensiblen Instrumen­talpädagogik“.
Die Lektüre fesselt, weil Deserno mit einer unerhörten Fülle an Beobachtungen und Überlegungen die Genderthematik für das Musizieren und dessen Erleben fruchtbar macht. Ein großartiges, brillant geschriebenes Buch.
Ulrich Mahlert