Graf, Christian

Die Verwandlung des Klaviers

Ein neuer Schlüssel zur Klavierkunst

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2018
erschienen in: üben & musizieren 3/2019 , Seite 50

Angeregt durch den Unterricht bei seiner Lehrerin, der Neuhaus-Schülerin Esther Yellin, und durch die Lektüre der Schriften von Victor Zuckerkandl und Jürgen Uhde/Renate Wieland, die immer wieder im Text herangezogen werden, hat Christian Graf versucht, Wege zu finden, wie am Klavier trotz der punktuellen Tonerzeugung ein musikalischer Zusammenhang, etwas „zwischen den Tönen“, entstehen kann und das Instrument die vielfältigen „Verwandlungen“ durchlaufen kann, die letztendlich den perkussiven Charakter der Mechanik vergessen lassen. Eigene philosophische Studien haben dann die Methodik und die Art der Darstellung in diesem Band weiter beeinflusst. Das Buch gliedert sich in zwei große Teile, einen theoretischen und einen mehr praktisch orientierten. Stilistisch beschränken sich die Musikbeispiele auf klassische und romantische Musik. Eingestreut in den Text sind an verschiedenen Stellen außerdem persönliche Zwischenreflexionen. Der Verfasser ist überzeugt davon, dass durch seinen Ansatz „die musikalische Durchdringung der Partitur mit ihrer technischen Beherrschung eins wird“, d. h. dass sich auf diesem Wege auch klaviertechnische Schwierigkeiten lösen lassen, ohne dass sie dezidiert angesprochen werden.
Am Anfang stehen Betrachtungen zum Klavierton. Das Bild von einem Impuls, der in einen „Auftrieb“ umschlägt und eine Ausstrahlung erfährt, ließe sich mit der Funktionsweise der Klaviermechanik und den Saitenschwingungen in Verbindung bringen, was aber hier nicht geschieht (auch der vielfach geäußerte Appell, dass ein Nachdruck auf die Tasten nicht sinnvoll ist, wird nicht mit der Funktionsweise der Mechanik begründet). Dass Klavierspieler lernen müssen, den „Einzelton als Prozess zu hören“, ist dagegen eine wichtige Bemerkung.
Nach einer Auseinandersetzung mit den grundlegenden Aspekten von Prozess und Gestalt in der Musik beschäftigt sich der Autor ausführlich mit dem Taktsystem als Basis der „dynamischen Ordnung der Musik“.
Im zweiten Teil folgen zunächst sechs Grundmaximen für die Arbeit am Klavier (z. B. „werde aufmerksam auf die […] Störfaktoren, welche verhindern, dass die Musik geschehen und sich entfalten kann“ S.93), dann gibt es eine Reihe von zwölf Übungen an verschiedenen Musikbeispielen u. a. zum Beobachten von „Wellen“ und deren Erscheinungsformen.
Während im ersten Teil durchaus interessante und wichtige Aspekte des Musizierens am Klavier angesprochen werden, bleibt der angekündigte Praxisbezug hier insgesamt aber doch eher abstrakt, da viele grundlegende musikalische Parameter gar nicht einbezogen werden.
Linde Großmann