Goeritz, Stefan

Ein Ort zum Üben und Musizieren

Die Städtische Musikschule Waldkirch als Beispiel für ein Musizierlernhaus der Zukunft

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Wer einen Rundgang durch unser Haus macht, findet elf Probe- und fünf Übe­räume, zwei Räume für die Elementare Musikpädagogik und den Orchestersaal. Es gibt einen Bereich, der mit Silent-Instrumenten ausgestattet ist und der wie ein großes Wohnzimmer aussieht, sowie den Empfangsbereich, wo auch das Lehrerzimmer zu finden ist. Was man dagegen nicht findet, sind Unterrichtsräume. Denn wir möchten, dass unsere Musikschule nicht als Unterrichtsort, sondern als Ort des Musizierens und des Musizierenlernens wahrgenommen wird. Dies ist die Grundidee, aus der heraus sich so ziemlich alles erklären lässt, was man bei uns sehen und erleben kann.

Eben weil die oben genannte Unterscheidung so wichtig ist, möchte ich den Begriff „Musizierlernort“ an dieser Stelle kurz einführen und erklären. Kinder sind schon sehr früh daraufhin geprägt, Schulen als Orte zu begreifen, an denen etwas gelehrt wird. Durch eine relativ komp­lizierte Interaktion, in der auch Zwang, (Noten-)Druck sowie Hierarchien eine Rolle spielen, lernen die SchülerInnen, dass die Lehrenden erwarten, dass das, was sie lehren, von den SchülerInnen auch gelernt werden soll. Später, viel später lernen die mittlerweile Erwachsenen, für was das so Gelernte gut gewesen wäre, wenn man es nicht schon längst wieder vergessen hätte. Was bleibt, ist ein mehr oder weniger zufälliges Bildungspotpourri aus den Einflüssen guter und schlechter LehrerInnen sowie der eigenen Interessen. Diese Form von Bildung wird wahrscheinlich noch einige Jahre das Bild von Schulen prägen, auch wenn neue Bildungspläne etwas anderes visionieren.
Unser Lernort möchte dagegen eine Einladung für alle sein, das eigene Lernen und Musizieren wertzuschätzen und ebenso die Bedingungen für deren Gelingen. Der Ort soll dazu inspirieren zu verweilen, zu experimentieren und auszuprobieren, immer wieder Neues und Anderes kennenzulernen, Stille und Klang sinnlich zu erfahren. Die Möglichkeit und Forderung, sich stets mit den eigenen Ideen und Vorstellungen auseinanderzusetzen, soll Raum schaffen für Kreativität und Improvisa­tion. Das Lernen im Unterricht ist dabei eine von vielen Möglichkeiten.
Auf musikschullabor.de beschreiben Kinder ihre Traummusikschule: Man kann jederzeit kommen, sie ist gestaltet wie ein Dorf mit Wegen, Räumen und Plätzen, eher rund als eckig, man kann dort bleiben, solange man möchte, viele Instrumente ausprobieren, Freunde treffen, man hat Raum, etwas selbst zu machen, gemeinsam zu spielen und Musik zu erfinden. Einige Features dieser idealen Musikschule konnten wir auf den 900 Quadratmetern, die uns bei der Planung zur Verfügung standen, schon ansatzweise verwirklichen.

Die Lage

Unsere Schule hat im Moment ca. 830 SchülerInnen und 25 Lehrpersonen. Sie befindet sich auf einem großen Bildungs­campus, der ebenfalls die Ausbildungs­abteilung der Firma Sick sowie eine große Schulmensa beherbergt. Hier essen täglich SchülerInnen des Geschwister-Scholl-Gym­nasiums, des Berufsschulzentrums sowie der Kastelbergschule, einer Ganztages-Grund- und -Gemeinschaftsschule. Daneben befindet sich das Dr.-Erwin-Sick-Schülerforschungszentrum. Das Bildungshaus wurde von der Gisela und Erwin Sick Stiftung errichtet und im Jahr 2017 eingeweiht. Entworfen wurde es vom Architekturbüro Hank und Hirth aus Ehningen.
Die Lage unserer Schule in einem Mittelzentrum mit rund 21000 Einwohnern ermöglicht es vielen SchülerInnen, das Musizieren bei uns in den (Schul-)Alltag zu integrieren. Wie schon zu Beginn erwähnt, bedingt der ziemlich quadratische Umriss unseres Hauses eine quasi runde Anordnung des „Dorfs“ um das großzügige Treppenhaus. Da in beinahe jede Tür Fenster eingearbeitet sind, können sich BesucherInnen durch einen kurzen Rundgang einen Eindruck davon verschaffen, wer und was gerade im Haus zu erleben ist. Innerhalb dieser Anordnung finden sich einzelne Themenbereiche in den verschiedenen Himmelsrichtungen: Proben, Üben und die Elementare Musikpädagogik im Norden, der Saal im Osten, der Silent-Bereich sowie Proberäume im Süden, die Verwaltung, Toiletten und die Küche im Westen.

Akustik und Multifunktionalität

Alle Probe- und Überäume sind variabel ausgestattet. Tische, Stühle, Spiegel, Tafeln usw. sind beweglich und können bei Bedarf in die Zimmer geholt werden. Um möglichst viele individuelle Überäume zu schaffen, sind die Raumgrößen eher klein gehalten, können aber zum Teil durch mobile Trennwände zusammengeschaltet werden. Ebenso variabel wie die Raumnutzung muss auch die Raumakustik sein. Wie in Musikschulneubauten mittlerweile üblich, gibt es auch bei uns kaum parallele Wände, kaum rechte Winkel. Verschiedene Bodenbeläge (Teppich/Parkett) verbunden mit verschieden stark wirksamen akustischen Vorhängen ermöglichen die individuelle Anpassung jedes Raums an die Erfordernisse der verschiedenen Inst­rumente.
Eine Besonderheit unserer Schule ist die doppelte Fensterschicht, die uns komplett von der Außenfassade abkoppelt. Dadurch hören wir nicht die großen Maschinen in der Ausbildungsabteilung unter uns, sie hören nicht unser Schlagzeug oder unsere Orchester. Nur in Richtung des Gangs sind die Wände durchlässiger, damit unser Haus auch nach Musikschule klingt. Jeder Raum ist mit einem Soundsystem ausgestattet, wo man Laptop, Tablet oder Smartphone anschließen kann.

Der Silent- und Empfangs­bereich sowie die Überäume

Um genügend Übeplätze auf begrenztem Raum zur Verfügung stellen zu können, haben wir einen Bereich mit Silent-Instrumenten eingerichtet, in dem 20 bis 30 MusikerInnen gleichzeitig einzeln oder über Mischpulte gemeinsam musizieren können. Dieser Bereich ist bei uns sehr beliebt. Hier kann man Klavier, aber auch Gitarre, Streich- und Blechblasinstrumente üben, ohne ein eigenes Instrument mitzubringen. Dadurch können viele SchülerInnen direkt im Anschluss an die Schule zu uns kommen, um entweder davor oder danach in der Mensa zu Mittag zu essen. Besucher, die zum ersten Mal zu uns kommen, betreten hier einen lebendigen Musizierbereich, um zum Sekretariats- und Empfangsbereich zu gelangen: Somit entsteht auch hier eher der Eindruck einer Musizier- statt einer Schulumgebung.
Für alle InstrumentalistInnen gibt es frei zugängliche Überäume und auch die Proberäume können genutzt werden, wenn dort nicht gerade Unterricht stattfindet. Viele ältere und fortgeschrittene SchülerInnen haben Schlüsselkarten und können die Räume auch abends, am Wochenende und in den Ferien nutzen.

Der Saal

Multifunktional ist auch unser Saalbereich, der durch mobile Trennwände in drei Bereiche gegliedert ist: Im oberen, nördlichen Bereich findet Schlagzeug­unterricht statt, im unteren, südlichen Bereich ist der Bandraum und der mittlere Bereich ist zur besonderen Verwendung, zum Beispiel für die „Musikalischen Spiele“ oder für Konferenzen. Durch Öffnen einer Wand haben wir unseren Orchesterprobensaal, in dem das Schlagzeug schon aufgebaut ist. Auch die normalen Schulkonzerte finden hier Platz. Möchte die Band auftreten, öffnen wir den unteren Bereich und drehen die Bestuhlung um: Der Bandraum, normalerweise Kreativ- und Studioraum, ist nun die Bühne. Werden beide Wände geöffnet, können wir bis zu 180 Stühle stellen. Unsere etwa alle zehn Tage stattfindenden „Offenen Bühnen“ veranstalten wir unten im Schülercafé der Mensa, wo auch ein Flügel von uns steht.

Das Treppenhaus

Der Musizierraum beginnt natürlich bereits im Treppenhaus, wo man eine kathed­ralhafte Akustik vorfindet. Unsere Treppenabsätze haben jeweils zwölf Stufen, sodass man hier jede „abendländische“ Tonleiter üben kann. Das Schülerforschungszentrum nebenan hat sich nun zur Aufgabe gemacht, die Stufen durch Lichtgitter abzudecken, um dann elektronisch Töne einzuspielen, welche die Leitern auch hörbar machen. Dies ist eines von zahlreichen Beispielen für die vielen Möglichkeiten von Bildungsangeboten, die durch Verknüpfungen auf unserem großen Campus entstehen.

Das Betriebssystem

Das Gisela Sick Bildungshaus bietet uns als neue „Hardware“ zahlreiche Lern- und Musiziermöglichkeiten. Doch ist nun natürlich auch eine neue „Software,“ ein neues Betriebssystem gefragt, um diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Dies betrifft ein neues Deputats- und Gebührensystem ebenso wie die konsequente Beteiligung aller NutzerInnen an der Leitung und Verwaltung. Wenn wir die architektonische Einladung dieser Räume verstehen, können wir einen Ort freier, demokratischer kultureller Bildung schaffen, dessen Offenheit und Freundlichkeit ein Zeichen setzen könnte in einer Zeit, in der diese Werte dringend gepflegt und gelebt werden müssen.

Eine Tour durch die Musikschule Waldkirch kann man unternehmen auf www.musikschullabor.de