Dartsch, Michael

Stationen des Lebenswegs

Sprechen über Musik in der Elementaren Musikpädagogik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , Seite 25

Sprechen über Musik assoziiert man eher mit dem Musikunter­richt in der allgemeinbildenden Schu­le als mit der Elementaren Musikpädagogik. Allerdings gehört es zu den grund­legenden Möglichkeiten des Menschen, sich mit Musik zu be­schäftigen. So hat auch das Sprechen über Musik seinen Platz in einer „elementaren“ Musikpädagogik, der es darum geht, „wie es ist“, mit Musik umzugehen.1 „Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht der Mund.“2

Von jeher gab es an öffentlichen Musikschulen die Sachbereiche „Instrumenteninformation“ und „Musiklehre“ in der Musikalischen Früherziehung mit Vier- bis Sechsjährigen und in der Musikalischen Grundausbildung mit Sechs- bis Achtjährigen,3 und wo – den Namen dieser Sachbereiche gemäß – „informiert“ und „gelehrt“ wird, da sollte man auch Sprechen erwarten. Im neuen Bildungsplan Musik für die Elementarstufe/Grundstufe des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) aber erscheinen diese Überschriften nicht mehr explizit. Allerdings sind entsprechende Themen in den Inhaltsbereichen „Wahrnehmen und Erleben“ sowie „Denken und Symbolisieren“ aufgehoben.4
Die Bezeichnungen dieser Inhaltsbereiche sind nicht zufällig gewählt. Vielmehr wird an dem zuerst genannten Namen deutlich, dass ermöglicht werden soll, Instrumente und Musikstücke über sinnliche und emotionale Eindrücke zu erleben. Die Bezeichnungen aller Inhaltsbereiche geben Aktivitäten der Kinder wieder, das Tun der Lehrpersonen steht dabei nicht im Fokus. Dies gilt auch für den Inhaltsbereich „Denken und Symbolisieren“. Hierzu gehört ausdrücklich das Sprechen über Musik,5 und auch dabei ist zunächst einmal an das Sprechen der Kinder selbst gedacht. Im Hinblick auf „Denken“ steht das Sprechen in Zusammenhang mit der Ausbildung von Kategorien und Begriffen, mittels derer Musik beschrieben, aber auch eingeordnet und in diesem Sinne verstanden werden kann.
Im Hinblick auf den zweiten Begriff in der Bezeichnung des Inhaltsbereichs „Denken und Symbolisieren“ stellt Sprechen bereits selbst eine Form akustischer Symbolisierung dar, die es neben visuellen Formen – grafischer oder traditioneller Notation – möglich macht, über bestimmte Musik zu kommunizieren und sie für einen weiteren Umgang verfügbar zu machen.
Der Bildungsplan des VdM nennt vier Zielvorstellungen für die Arbeit in der Elementarstufe/Grundstufe, die sich ohne Weiteres auf die Elementare Musikpädagogik als Ganzes beziehen lassen:
– Grunderfahrungen,
– Ausdifferenzierung von Fühl-, Denk- und Verhaltensmustern,
– Begegnung mit kulturell geprägten Materialien und
– Einbringen von Eigenem.6
Für alle vier Zielkategorien kommt dem Sprechen über Musik Bedeutung zu: Dieses trägt dazu bei, dass Wahrgenommenes weiterverarbeitet und als Erfahrung für die Zukunft aufbewahrt bleibt.7 Weiter hilft es bei der Aus­differenzierung von Denkmustern und prägt von hier aus auch die Wahrnehmung, das Fühlen und das Verhalten. Auch im Sprechen finden Begegnungen mit kulturellen Produkten wie Begriffen und Bewertungen statt. Und schließlich können Gruppenmitglieder über das Sprechen eigene Eindrücke und Deutungen in das Unterrichtsgeschehen einbringen.

Sprechen im Lebenslauf

In Eltern-Baby-Gruppen geht das Sprechen zunächst von den Eltern aus oder ist an sie gerichtet, während die Babys Kategorien vorsprachlich erfassen. Im Laufe eines solchen Kurses und erst recht in Gruppen mit Kleinkindern rückt das Sprechen mit den Kindern immer mehr in den Fokus. Mit den Erfahrungen verbinden sich allmählich die dazu gehörten Begriffe, die etwa Parameter wie die Lautstärke betreffen können. Kleinkinder können denn auch selbst mittels Sprechen Initiative ergreifen und dabei auch Aspekte dessen ausdrücken, was Musik bei ihnen auslöst.
In der frühen Kindheit bietet es sich an, sich direkt über gehörte Musikstücke auszutauschen. Eine vorangehende Aufgabe, die dies befördern kann, könnte lauten, zur Musik „zu träumen“ oder sich Bilder zur Musik vorzustellen. Diese können dann in der Gruppe geteilt werden. Daneben aber kann durchaus auch über Besetzungen und Abläufe von Musikstücken gesprochen werden. Je älter die Kinder werden, umso mehr Begriffe aus der Fachsprache sind hier zu erwarten, umso differenzierter werden sie aber auch über ihre Erlebnisse und Eindrücke berichten können und dabei auch Urteile abgeben.
Gerade in der Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen können ästhetische Urteile ein besonders Gewicht bekommen. Letztere haben per se etwas Empfehlendes oder gar Werbendes.8 Werden sie nicht unmittelbar geteilt, kann es zum „ästhetischen Streit“ kommen, einem „ästhetisch argumentierende[n] Reden über Musik“, in dem insbesondere Gestaltungsabsichten verhandelt werden.9 Neben Eindrücken, Urteilen und Beschreibungen der Faktur können insbesondere hier auch „[r]elevante Kontextinformationen“ zu Musikstücken in das Sprechen einfließen.10 Je mehr es allerdings um die persönliche Bedeutung geht, die bestimmte Musik für Einzelne hat, desto stärker wird beim Sprechen über Musik auch über sich selbst gesprochen. Besonders im späten Erwachsenenalter rücken der biografische Kontext und die Erinnerung in den Vordergrund und benötigen Raum.
So aktualisieren sich im Sprechen über Musik Stationen des Lebenswegs, der stets auch ein „Hörweg“ ist.11 Im Blick auf das anfangs zitierte Bibelwort lässt sich sagen: Nicht immer ist zuerst das Herz voll und fließt dann gewissermaßen über in das Sprechen. Vielmehr kann umgekehrt auch das Sprechen Assoziationen, Erinnerungen und Empfindungen des Mitfühlens hervorrufen, die das Herz erst füllen. Musik ist in diesem Sinne sicher einer der am tiefsten reichenden Gegenstände, über den sich sprechen lässt.

1 Michael Dartsch: Mensch, Musik und Bildung. Grundlagen einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung, Wiesbaden 2010, S. 201.
2 Matthäus 12,34; Einheitsübersetzung.
3 vgl. Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Lehrplan Musikalische Früherziehung, Regensburg 1980; Wolfgang Stumme: „Der Lehrplan ‚Musikalische Grundausbildung‘ des Verbandes deutscher Musikschulen“, in: Lore Auerbach/Gisela Dreyer/Heinz W. Höhnen/Wilhelm Keller/Paul Nitsche/Hermann Regner/Margit Schneider/Wolfgang Stumme: Musikalische Grundausbildung. Beiträge zur Didaktik. Die Musikschule, Band III, Mainz 1974, S. 122-134.
4 vgl. Michael Dartsch: „Musikalische Bildung in der Elementarstufe/Grundstufe. Grundlegende Aspekte der Elementaren Musikpädagogik“, in: Verband deutscher Musikschulen (Hsg.): Bildungsplan Musik für die Elementarstufe/Grundstufe, Bonn 2010, S. 13-25, hier: S. 17.
5 Dartsch: Mensch, Musik und Bildung, S. 218.
6 vgl. Dartsch in VdM, S. 18 ff.
7 vgl. Hermann Josef Kaiser: „Meine Erfahrung – Deine Erfahrung?! oder: Die grundlagentheoretische Frage nach der Mitteilbarkeit musikalischer Erfahrung“, in: ders. (Hg.): Musikalische Erfahrung. Wahrnehmen, Erkennen, Aneignen, Essen 1992, S. 100-113, hier: S. 111 f.
8 vgl. Christian Rolle: Musikalisch-ästhetische Bildung. Über die Bedeutung ästhetischer Erfahrung für musikalische Bildungsprozesse, Kassel 1999, S. 116 ff.
9 Christian Rolle/Christopher Wallbaum: „Ästhetischer Streit im Musikunterricht. Didaktische und methodische Überlegungen zu Unterrichtsgesprächen über Musik“, in: Johannes Kirschenmann/Christoph Richter/Kaspar H. Spinner (Hg.): Reden über Kunst. Fachdidaktisches Forschungssymposium in Literatur, Kunst und Musik, München 2011, S. 507-535, www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/10063/Christian_Rolle_Chris­topher_Wallbaum-Aesthetischer_Streit_im_Musikunterricht.pdf, S. 1 (Stand: 19.6.2019).
10 ebd., S. 13.
11 Johanna Metz: Wort Klang Bewegung. Elementare musikalische Bildung im späten Erwachsenenalter, Wiesbaden 2011, S. 105.

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