Rashtchi, Shamim

Klaviervorschule mit Rosalie

Der rechte Einstieg für Kinder im Vorschulalter, Band 1

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Doblinger, Wien 2019
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , Seite 58

Viele Wege führen nach Rom – dieser nicht! Einziger Inhalt der Klavierschule für Vorschulkinder sind die Noten von c’ bis h’. Diese werden in lernpsychologisch ungünstiger Weise vermittelt, da sehr oft das Symbol vor der Sache behandelt wird. Bevor noch der erste Ton erklingt, sollen die Kinder eine ganze Seite lang die Note c’ in vorgegebene Systeme schreiben, dann eine weitere Seite lang die Note d’. Die erste zu spielende Melodie ist der Beginn des französischen Liedes Au clair de la lune, woraufhin – Sie ahnen es schon – eine Seite mit der Note e’ zu füllen ist.
Die Autorin ordnet jeder Note sowie der dazugehörigen Taste eine Farbe zu. In diesem Sinn geht es weiter, bis der genannte Tonraum erarbeitet ist. Eine Lern­sequenz zu den Notenwerten beginnt mit einer Tonfolge aus 20 ganzen Noten. Bei jedem Ton soll das Kind auf Vier zählen. So kommt gewiss niemand auf die Idee, dass das Phänomen Rhythmus etwas mit Bewegung zu tun haben könnte. Als Identifika­tionsfigur führt ein kleines Mädchen namens Rosalie mit rosa Kleidchen und Schühchen durch den Band.
Mit ihrem einseitigen Ansatz schneidet die Autorin von vornherein alle Möglichkeiten ab, an den vorhandenen musikalischen Fähigkeiten und Motivationen der Kinder anzuknüpfen. Einige Stich­worte für ein sachgemäßes und musiknahes Vorgehen wären:
– Auditives Erarbeiten der ersten kleinen Melodien, um zunächst eine Assoziation Taste – Klangvorstellung anzubahnen, bevor die Noten als Symbole für etwas schon Bekanntes dazukommen.
– Bewegungsspiele über das gan­ze Klavier anstelle der hier gewählten Beschränkung auf wenige Töne in der Mittellage.
– Improvisationen zu kindgemäßen Themen, um den Kindern von Anfang an die Erfahrung zu vermitteln, dass sie mit Musik ihre Emotionen ausdrücken können.
Noch nicht einmal die pädagogischen Möglichkeiten, die der reduzierte Ansatz immerhin bieten könnte, werden von der Autorin wahrgenommen und genutzt. Alle Melodien sollen nur mit der rechten Hand gespielt werden. Allein schon die Anregung, eine Melodie alternierend auf beide Hände zu verteilen, würde Bewegung ins Spiel bringen und zu einem ausbalancierten, aktiven Sitz beitragen. Begleitsätze für die Lehrperson könnten die Hörerfahrung der Kinder bereichern und gäben der Lehrkraft die Möglichkeit, ohne viele Worte den Rhythmus zu unterstützen. Sinnvoll konzipierte Spielmaterialien, die man in die Hand nehmen kann – Kärtchen, Spielmarken, Aufkleber – helfen kleinen Kindern, die Lerninhalte im Wort­sinne zu begreifen. Textunterlegungen zu den angebotenen Me­lodien wären hilfreich, um Tonhöhenverlauf und Rhythmus als untrennbare Einheit erleben zu lassen. Nichts davon findet sich in diesem Heft.
Nein, hier gibt es nichts zu beschönigen: Kinder verdienen bessere Lehrwerke!
Sigrid Naumann