Bossen, Anja

Die Musikpädagogik und die Flüchtlinge

Kommentar

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 01

An vielen Orten engagieren sich momentan Musiker, Orchester und Instrumentalpädagoginnen und -pädagogen für Flüchtlinge. Stellvertretend für alle diejenigen, die hier ein bemerkenswertes Engagement zeigen, haben wir in der vergangenen Ausgabe von musikschule )) DIREKT die musikpädagogische Flüchtlingsarbeit des Hamburger Konservatoriums vorgestellt. Doch wie sich zeigt, ruft solche Arbeit auch Kritiker auf den Plan, auch aus der Zunft der Musikpädagogen selbst. Diese argumentieren, es mache keinen Sinn, wenn Flüchtlingskinder lediglich einmal pro Woche in die Musikschule kämen und nur dort ein Instrument zur Verfügung hätten; außerdem würden viele ohnehin das Land wieder verlassen.

Eine solche Sichtweise zeugt neben dem völligen Unvermögen zur Empathie mit Menschen, die nahezu alles verloren haben und für die die wöchentliche Musikstunde vielleicht das Highlight der Woche darstellt, von einer erschreckenden musikpädagogischen Auffassung, nämlich der, Instrumentalunterricht einzig als Mittel zur Erzeugung musikalischer Leistungen zu betrachten. Musikpädagogik hatte jedoch schon immer sehr verschiedene gesellschaftliche Aufträge: neben fachlichen auch religiöse, politische, soziale, sozialpädagogische und therapeutische. Die drei letztgenannten Aufträge können jetzt, in der aktuellen Flüchtlingssituation, ganz besonders gut erfüllt werden. Wer hier allein mit dem fachlichen Auftrag argumentiert, der hat die Musikpädagogik nicht verstanden.

Weitere Argumente gegen die Flüchtlingsarbeit wie ein unterstellter Kulturimperialismus sind vor dem Hintergrund der offensichtlichen Freude von Flüchtlingskindern an dem, was ihnen musikalisch angeboten wird, nur als zynisch zu bezeichnen, zumal die Teilnahme an den Angeboten absolut freiwillig ist. Niemandem wird hier etwas aufgezwungen. Und wer eine musikalische Betätigung, die auch einer Integ­ration dienlich sein kann (was nebenbei bemerkt ein wesentlicher Grundgedanke der meisten Projekte musisch-kultureller Bildung ist), nur denen zukommen lassen will, bei denen ganz sicher ist, dass sie bleiben dürfen, lässt sich vom derzeit alles beherrschenden Gedanken der Effizienz leiten, der Werten wie Mitmenschlichkeit und Empathie zuwider läuft.

Ich wünsche denjenigen, die sich dafür einsetzen, Menschen in einer für uns unvorstellbaren Lebenssituation Momente von Lebensfreude zu ermöglichen, weiterhin viel Erfolg. Seien Sie ineffizient! Den Kritikern empfehle ich den Besuch einer ZEA-Musikschule zur Überprüfung der Stichhaltigkeit ihrer Argumente vor Ort.