Dahlhaus, Bernd

Vom Beschweren zum Erleichtern

Wie Sie für ein gutes Miteinander sprechen können

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 10

Kennen Sie das auch? Sie unterhalten sich mit einem oder mehreren Kollegen auf dem Parkplatz, im Lehrerzimmer oder im Kopierraum über eine Begebenheit aus Ihrem Alltag in der Musikschule, etwas, das Sie oder die Kollegen aktuell beschäftigt.

Als Beispiel diene der einfache Ausgangssatz: „In meiner JeKi-Keyboardgruppe haben heute von sechs Kindern fünf ihre Notenmappen nicht dabei gehabt!“ Zunächst wirkt diese Aussage wie eine neut­rale Beschreibung eines objektiven Sachverhalts, welche die Gesprächspartner häu­fig mit ähnlichen Sachaussagen aus ihrem Alltagserleben beantworten. Gibt man allerdings dem Sprecher Raum für sein Thema und erkundet gemeinsam den gedanklichen und emotionalen Kontext seiner Aussage, besteht die Chance, von einer eher oberflächlichen Sachebene zu einer tieferen, persönlichen Ebene zu gelangen und etwas Wesentliches oder Substanzielles voneinander zu erfahren.
Dieses Raum-Geben kann darin bestehen, eigene Gedankenassoziationen oder die eigene Bewertung zurückzustellen und zunächst einmal nachzufragen: nach dem Beweggrund des Kollegen für seine Mitteilung, welche Gründe er für das Phänomen vermutet, welche Bedeutung es für ihn persönlich hat, was er mit seiner Äußerung eigentlich meint. Dann könnte zum Beispiel deutlich werden, dass der Sprecher vom Verhalten der Kinder genervt ist, weil sie häufig etwas vergessen, dass er frustriert ist und sich ohnmächtig fühlt, weil er schon viele Methoden zur Verbesserung ausprobiert hat und sich dringend ein paar wirklich hilfreiche Tipps für den guten Umgang mit solchen Situationen wünscht.
Selbstverständlich möchte ich weder das normale und ebenso wertvolle Plaudern unter KollegInnen abwerten noch einseitig für eine ausschließlich „psychologisierende“ Gesprächskultur im Musikschulteam plädieren. Nach meinen Beobachtungen allerdings beschränken sich viele KollegInnen in ihrem kommunikativen Miteinander (zu) oft auf fachlichen „Small Talk“ und auf „Problem Talk“. (Dass gemeinsamer „Problem Talk“ auch untereinander verbindend wirken kann und das Vertagen einer Verbesserung oder Lösung auch vor einer möglicherweise als unangenehm empfundenen Veränderung schützt, sehe ich aus Sicht des Betroffenen als verständlich und genauso berechtigt an.)
Wirkliche und nachhaltige Verbesserungsideen und Problemlösungen nehmen ihren Ausgang in der Regel bei einer tieferen Ebene des Miteinanders, auf der die Beteiligten das Gefühl haben, wirklich ernstgenommen zu werden und beim anderen anzukommen.
Wenn sich also bei Ihnen öfter mal ein Unbehagen meldet bei immer denselben Kommunikationen mit KollegInnen oder wenn Sie ganz konkret den Wunsch haben, wirklich verstanden zu werden, können Sie in einer ruhigen Minute die Beispiele auf der rechten Seite als Übung zur Selbstklärung nutzen. Die Idee ist, in bestimmten Erlebenssituationen – in unangenehmen und auch in angenehmen – inne­zuhalten und sich zu vergegenwärtigen, was „in mir eigentlich los ist“, welche Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse mein Erleben dieser Situation ausmachen. Haben Sie passende Worte und Formulierungen dafür gefunden und äußern diese auch im Gespräch, werden Ihre Gesprächspartner mit hoher Wahrscheinlichkeit anders als üblich reagieren.1

In der linken Spalte der Übersicht finden Sie Sätze, die so oder ähnlich im Gespräch unter InstrumentalpädagogInnen zu hören sind.2 In der mittleren Spalte biete ich eine von mehreren denkbaren persönlichen Bedeutungsgebungen an und in der rechten Spalte Formulierungen zu einem möglicherweise dahinter liegenden Bedürfnis oder Wunsch.3 Allerdings ist die Reihenfolge der Sätze in der mittleren und rechten Spalte durcheinander geraten! Ordnen Sie den Aussagen der linken Spalte die­jenigen Aussagen aus der mittleren und rechten Spalte zu, mit denen dann die gesamte Zeile für Sie am meisten Sinn macht.4
Die Beispiele betreffen Gespräche unter Lehrkräften. Ergänzen Sie doch Beispiele aus Ihrem Unterricht, auch und vielleicht gerade in der Kommunikation mit sogenannten „schwierigen“ SchülerInnen oder Gruppen. Je mehr man über sich selbst Bescheid weiß, umso klarer kann Kommunikation gelingen, umso mehr Handlungssouveränität stellt sich ein.

1 vgl. Marshall Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage, Paderborn 2004.
2 Der Tonfall der Aussagen sowie begleitende Gestik und Mimik als wichtige Bestandteile der Kommunikation seien hier unberücksichtigt.
3 Selbstverständlich ist die Auswahl subjektiv und besitzt keinen „Wahrheitsanspruch“. Sie dient lediglich dem Verständnis des Prinzips.
4 Auch hier gibt es (möglicherweise) keine end­gültige oder „richtige“ Lösung. Und selbst wenn Sie zu diesem Ergebnis kämen, könnte man dies als Bestätigung dafür nehmen, dass Kommunikation immer mehrdeutig ist und für ein gutes Miteinander vielfältige Rückmeldeschleifen nicht nur nützlich, sondern unabdingbar sind. Meine Zuordnung bzw. „Auflösung“ finden Sie hier: 1Ge, 2Ai, 3Ff, 4Jb, 5Bc, 6Ca, 7Ih, 8Dg, 9Ed, 10Hj