Breitsprecher, Annette

Prekäre Arbeit im ­öffentlichen Auftrag

Die Situation an den Berliner Musikschulen ist nach wie vor eine große Belastung für die Lehrkräfte

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

In den vergangenen Jahren standen die Berliner Musikschulen immer wieder im Licht der Fachöffentlichkeit – leider immer aus negativem Anlass. Seit Jahren sind die Berliner Musikschullehrkräfte mit Aufnahmestopps und Stundenkontingentierungen, maroden Unterrichtsräumen und allgemeiner Raumnot, mangelnder sozialer Absicherung und einem Monatseinkommen nur wenig oberhalb der Armutsgrenze konfrontiert. Seit der Einführung neuer Honorarverträge durch die Senatsverwaltung im Jahr 2013 haben sich die Arbeitsbedingungen nochmals verschärft. Die neuen Verträge samt neuer Ausführungsvorschriften waren von der Senatsverwaltung eingeführt worden, um jeglichen Verdacht auf Scheinselbstständigkeit der Lehrkräfte auszuschließen und Festanstellungen um jeden Preis zu vermeiden. Zu den ohnehin miserablen Bedingungen kommen seitdem noch unbezahlte Arbeitszeiten für Einzelstundenabrechnungen, chaotische Zustände aufgrund nicht funktionierender Software in der Musikschulverwaltung, ­fal­sche Honorarabrechnungen und teil­weise unpünktliche Honorarzahlungen, die als klarer Vertragsbruch seitens der Verwaltung zu werten sind, hinzu. Daran haben weder ein seit dreieinhalb Jahren nicht umgesetzter Parteitagsbeschluss der SPD zur Verbesserung der Situation der Lehrkräfte noch die zusätzlich in den Haushalt eingestellte Summe von 2,5 Millionen Euro – die für die Schaffung fester Stellen verwendbar gewesen wäre statt für mehr prekäre Beschäftigung auf Honorarbasis – noch Eltern­proteste etwas geändert. Doch die Berliner Lehrkräfte geben nicht auf: Am 13. November 2015 veranstaltete das Kollegium der am schlimmsten betroffenen Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf ein Protestkonzert. Die Berliner Lehrervertreterin Annette Breitsprecher schilderte in einer Ansprache zu Beginn des Konzerts, wel­che Folgen die Umstellung der Honorarverträge mittlerweile für die Qualität der Musikschularbeit und für die Musikschullehrkräfte hat.
Anja Bossen

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebes Publikum – danke, dass ihr hier seid, danke, dass Sie hier sind.
Musikervolk, so scheint es mir, neigt gelegentlich zum Individualismus. Vielleicht ist das einer der Grüde dafür, dass es immer so ruhig ist in unserer Zunft. Es muss schon die Hütte brennen, damit sich ein kollektiver Widerstand regt. Hier und heute regt er sich, und das ist gut so, denn er ist – leider – mehr als dringend nötig. Die schlimme Situation der Kolleginnen und Kollegen an der hiesigen Musikschule ist ja nur die Spitze eines Eisbergs (wenn auch eine momentan ziemlich weit herausragende Spitze). Und das heutige Konzert ist auch nicht das erste „Protestkonzert“.
Wir erinnern uns: Es war im Jahr 2011, als die Deutsche Rentenversicherung feststell­te, die auf Honorarbasis arbeitenden Ber­liner Musikschullehrerinnen und -lehrer (und wie wir wissen, sind das über 90 Prozent) seien mehrheitlich als scheinselbstständig anzusehen. Der damalige Umgang des Senats mit dieser Feststellung trieb uns auf die Straße. Er war der Auslöser für ein großes Protestkonzert und eine ganze Reihe von Demonstrationen.
Warum? Weil damals nicht ein Gedanke verschwendet wurde an die Frage, ob man infolge dieser – möglicherweise richtigen? – Feststellung der Rentenversicherung vielleicht Stellen schaffen müsse für derzeit scheinselbstständig zu miserablen Bedingungen arbeitende Menschen; für Menschen, die ihren Beruf lieben und mit Herzblut leben; für Menschen, von denen sich eine große Zahl trotz schwieriger Verhältnisse mit „ihrer“ Musikschule identifiziert hat.
Nein, mit dieser Frage wurde sich nicht befasst. Einziges Interesse war, die angebliche Selbstständigkeit der Musikschullehrerinnen und -lehrer rechtlich so festzuklopfen, dass sie künftig nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Dazu wurden die neuen „Ausführungsvorschriften Musikschule“ erfunden. Zusammengefasst handelte es sich hierbei um das Unterfangen, unsere Vertragsverhältnisse so auszugestalten, dass nicht der Verdacht aufkommen kann, wir Musikschullehrkräfte gehörten zur Musikschule.
Gegen diesen Unsinn (oder wie man aus heutiger Sicht wohl eher sagen muss: Irrsinn) zogen wir auf die Straße, mit den Forderungen nach einer vernünftigen Stellenausstattung und nach einem Tarifvertrag für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anstelle der unseligen Ausführungsvorschriften. Das Medienecho war beachtlich, wir hatten große Unterstützung aus der Elternschaft und auch von Vertretern etlicher namhafter Kulturinstitutionen. Aber was haben wir erreicht? Böszungig könnte man sagen: Befriedungsgeld. Ja, es gab zusätzliche Mittel, sogar in nicht un­erheblicher Höhe (sofern man als Bezugsgröße den Jahresetat der Berliner Musikschulen nimmt und nicht andere Baustellen im Land heranzieht…). In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck: „Aha, da passiert etwas.“
Zum einen sollte dieses Geld tatsächlich zur Schaffung von mehr festen Stellen verwendet werden. Doch was ist daraus geworden? Wie man hört, sind es wohl berlinweit mittlerweile zwei… Ein erheblicher Teil der Mittel ist, wegen später Freigabe und dem seit Jahrzehnten üblichen Verantwortungs-Pingpong zwischen Senat und Bezirken, stattdessen in Sachmittel geflossen. Zwar waren auch diese dringend nötig und überfällig, aber sie leiten keinen Strukturwandel ein. Der zweite Zweck des warmen Geldregens war die Erhöhung des Unterrichtsangebots – an sich eine gute Sache, könnte man meinen. Da der Löwenanteil des Unterrichts von Freien erbracht wird, heißt das aber de facto nichts anderes als: mehr prekäre Arbeit.
Vom so dringend nötigen Tarifvertrag sind wir heute so weit entfernt wie eh und je. Stattdessen schlagen wir uns herum mit den Folgen der neuen Ausführungsvorschriften, allem voran mit dem, was diese „Einzelstundenabrechnung“ anrichtet. Was für eine traurige Verschwendung menschlicher Ressourcen, bei den Freien ebenso wie bei den nach Kräften bemühten Menschen in den Verwaltungen! Und was für ein Desaster, der Verlust dieses Stückchens sozialer Sicherheit, das in einem wenn auch viel zu bescheidenen, so doch wenigstens regelmäßigen Salär bestand.
Thematisieren wir unsere Situation, so wird bei den zuständigen Stellen oft zynisch abgewiegelt. Da bekommt man zu hören, in Berlin gehe es den Honorarkräften gut, anderswo werde schließlich noch weniger gezahlt. Eine gerade in der Auswertung befindliche Umfrage von ver.di und Landeslehrervertretung allerdings lässt nicht wirklich den Eindruck von „gut gehen“ aufkommen: 60 Prozent der antwortenden Kolleginnen und Kollegen gaben an, dass ihre Rente unter 500 Euro liegen wird. Von dieser weit verbreiteten Technik, Prob­leme kleinzureden, anstatt sie verantwortlich zu bearbeiten – und übrigens: eine Weisung zum Abhängen von Plakaten für dieses Protestkonzert, sofern sie tatsächlich erfolgt sein sollte, würde auch in diese Kategorie gehören –, von dieser Technik also dürfen wir uns weder verwirren noch demoralisieren lassen. Wir sollten stattdessen dafür sorgen, dass das Thema „Prekäre Arbeit im öffentlichen Auftrag“ ein nicht mehr kleinzuredendes (Wahlkampf-)Thema wird!
Dies sollten wir tun, dringend – obwohl wir ja eigentlich etwas anderes tun wollen.
– Eigentlich wollen wir uns auf einer ganz anderen Ebene tatkräftig einsetzen für eine gute und allen Menschen in der Stadt zugängliche musikalische Bildung: Diese Ebene wäre ein pädagogischer Alltag, der qualitativ hochwertige Arbeit fördert, anstatt sie zu behindern.
– Eigentlich wollen wir eine sensibilisierende, persönlichkeitsstärkende, zur ak­tiven Auseinandersetzung mit der Musik und mit dem Selbst anregende, Glücks­potenziale zu Tage fördernde musikalische Bildungsarbeit leisten. Das ist es, was die Mehrheit von uns als ­eigentliche Berufung ansieht (eine Berufung, zu der es eigentlich auch einen passenden, richtigen Beruf gibt).
– Eigentlich wären die öffentlichen Musikschulen der gebotene Ort für diese wunderbare Arbeit.
Ich danke Ihnen.