Simon, Jürgen

Notendownload

Die Petrucci-Datenbank bietet Zugang zu kostenfreiem Notenmaterial

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Wer Musik machen möchte, braucht dafür außer einem Instrument vor allem eine große Zahl an Noten. Was zunächst wie eine Binsenweisheit klingt, stellt im Alltag derjenigen, die Musik unterrichten oder mit Ensembles arbeiten, ein erhebliches Problem dar, denn Noten sind teuer und Kopieren ist in der Regel verboten.

Um diesem Problem zu begegnen, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte ins Leben gerufen, die Noten im Internet frei zugänglich machen wollen. Die umfangreichste Sammlung von Noten im Internet ist zweifellos die Petrucci-­Datenbank (www.imslp.org). Die Abkürzung IMSLP steht für International Music Score Library Project, und der Name ist nicht zu hoch gegriffen. Inzwischen finden sich in der Petrucci-Datenbank mehr als 66000 Werke aller Epochen vom Mittel­alter bis in die Neuzeit. Darüber hinaus enthält die Datenbank auch mehr als 24000 Aufnahmen von Werken.

Alles drin?

Der größte Teil der Noten liegt als gescanntes PDF vor. Dabei ist die Qualität der Scans recht unterschiedlich, da viele der Noten von Originalen abgescannt wurden, die vor 1930 erschienen sind. Bei bekannten Werken gibt es häufig mehrere verschiedene Ausgaben mit teils erheb­lichen Unterschieden in der Qualität. In diesen Fällen lohnt es sich, vor dem Download mit Hilfe des „View“-Buttons einen Blick in die Noten zu werfen. Für musikwissenschaftlich interessierte Nutzer dürften auch die Scans von Original-­Manuskripten von einigem Interesse sein. Diese Scans haben häufig eine sehr hohe Qualität, da sie in vielen Fällen direkt von den Archiven erstellt wurden, in denen die Manuskripte aufbewahrt werden.
Es ist nicht erforderlich, ein Werk an mehreren Stellen in der Datenbank zu suchen. Die Partituren, Stimmen, Arrangements und Aufnahmen einzelner Werke sind sehr übersichtlich auf einer einzigen Seite in mehreren Abschnitten zusammengefasst. Ganz oben auf der Seite gibt es ein Register „Diskussion“, in dem sich oft durchaus lesenswerte Beiträge und Hinweise zu eventuell vorhandenen Fehlern in den jeweiligen Materialien befinden.

Alles gefunden?

Die Petrucci-Datenbank ist jedoch nicht einfach nur eine riesige Sammlung von PDF-Scans, sie ist auch ein hervorragend strukturiertes Archiv. Die Seite bietet eine große Vielfalt an Recherchewerkzeugen vom einfachen Kreuzkatalog bis zu komp­lexen Verknüpfungen von Suchparametern und sogar eine Inhaltssuche.
Der Ausgangspunkt für die Suche ist in der Regel das Menü „Noten nach“. Wenn man weiß, was man sucht, führt die Suche nach dem Komponisten in der Regel am schnellsten ans Ziel. In der Kategorie „Alle Beteiligten“ finden sich dann auch Librettisten, Arrangeure und Bearbeiter. Hier kann die Suche anschließend wieder auf eine bestimmte Tätigkeit eingegrenzt werden. Auf diese Weise kann man dann z. B. herausfinden, dass Emanuel Schikaneder neben der Zauberflöte auch das Libretto für die Oper Der Tiroler Wastel von Jakob Haibel geschrieben hat.
Unter der Rubrik „Nationalität“ sind die Komponisten nach Nationalitäten zusammengefasst. Leider gibt es von hier aus keine Möglichkeit, andere Beteiligte zu ermitteln. Dies ist jedoch bei der Kategorie „Epoche“ vorgesehen, sodass gezielt nach Librettisten aus dem Mittelalter gefahndet werden kann.
Besonders vielseitig ist die Suche nach „Gattung“. Hier kann die Suche nach Werkart, Besetzung, Instrument und Sprache durchgeführt werden. So findet man leicht auch ausgefallene Werke wie ein Konzert für Vuvuzela und Orchester von John-Luke Mark Matthews. Besonders mächtig wird diese Kategorie jedoch, wenn man den Link „[walk]“ neben einer Kategorie anklickt. Dann wird eine beliebige Verknüpfung von Kategorien ermöglicht. Ein Beispiel:
Ein Klick auf [walk] neben Sonatas in der Kategorie Werkart öffnet eine neue Seite mit Unterkategorien. Dort kann in der Tabelle Chamber-Instrumental unter For 2 players ‘ For cello, piano mit einem Klick auf restrict to die Suche auf Cellosonaten eingegrenzt werden. Auf der nächsten Seite führt ein Klick auf show pages bei Early 20th century in der Tabelle Periods zu der Liste aller Cellosonaten des frühen 20. Jahrhunderts. Wer die Werke auch nutzen möchte, kann statt mit show pages die Liste mit restrict to bei Periods weiter eingrenzen und anschließend in der Tabelle Unknown mit exclude bei WorkNonPD-EU und WorkPD-USonly die Auswahl auf Werke eingrenzen, die mit großer Wahrscheinlichkeit in der EU frei verwendet werden können. Zuletzt noch ein Klick auf show pages in der Tabelle Work Types bei Sonatas und die Liste der gemeinfreien Cellosonaten des frühen 20. Jahrhunderts mit immerhin 21 Werken wird angezeigt.
Technisch besonders raffiniert ist die Suche nach „Melodie“, wenngleich sie im alltäglichen Gebrauch eine eher geringe Rolle spielen dürfte. Hier kann – entweder mit einer Zahlenfolge oder bequemer über eine Bildschirmklaviatur – ein kurzer Melodieabschnitt oder eine Harmoniefolge eingegeben und anschließend nach Werken gesucht werden, in denen diese Töne erscheinen. Im Ergebnis werden nicht nur die gefundenen Noten angezeigt, sondern auch direkt die Seiten mit den Fundstellen.

Alles legal?

Die Server, auf denen sich die Petrucci-Datenbank befindet, stehen in Kanada. Das dortige Urheberrecht unterscheidet sich von dem in der EU geltenden. Gültig ist jedoch immer das Urheberrecht des Landes, in dem die Daten heruntergeladen und genutzt werden. Das bedeutet, dass nicht alle Noten oder Aufnahmen, die in der Datenbank enthalten sind, in Deutschland auch verwendet werden dürfen. Grundsätzlich ist bereits das Herunter­laden urheberrechtlich geschützter Daten ein Rechtsverstoß.
In den meisten Fällen gibt Petrucci unter der Kategorie „Urheberrecht“ eine korrekte Information zum Urheberrecht an. Dabei überwiegen zwei Lizenzen: „Public Domain“ bedeutet, dass die Daten ohne Einschränkung verwendet, verändert und auch zu (kommerziellen) Aufführungen verwendet werden dürfen. Dabei führt ­Petrucci Einschränkungen für Kanada, die EU und die USA gesondert an. Die zweite Lizenz ist die „Creative Commons Lizenz“, die es in verschiedenen Varianten gibt. Diese Lizenz wird vor allem dann verwendet, wenn der Urheber oder Ersteller die Daten selbst zur Verfügung stellt. Einige zeitgenössische Komponisten bieten ihre Werke unter dieser Lizenz an und auch Tonaufnahmen werden öfter unter dieser Lizenz angeboten.
Die „Creative Commons Lizenz“ kann individuell eingeschränkt werden, was durch entsprechende Ergänzungen angezeigt wird: „No Derivatives“ bedeutet, dass Noten oder Aufnahmen nicht geändert werden dürfen, wohingegen „Share alike“ verlangt, dass Änderungen unter den gleichen Bedingungen weitergegeben werden müssen. Die Ergänzung „Non-commercial“ verbietet die kommerzielle Nutzung der Werke. In jedem Fall soll der ursprüngliche Urheber angemessen genannt werden.

Alles gut?

Aus Sicht der Nutzer hat die Petrucci-Datenbank viele gute Seiten. Allein der gewaltige Umfang der Sammlung und die hervorragend gemachten Recherchewerkzeuge ermöglichen einen Zugang zu Noten, der anders nur schwer vorstellbar ist. Die geringen Kosten (die Noten müssen im Regelfall ausgedruckt, kopiert und gebunden werden) ermöglichen Zugang zu einem breiten Repertoire, das die finanziellen Möglichkeiten vieler Musiker, Lehrkräfte, SchülerInnen und Institutionen bei Weitem übersteigen würde, wenn die Noten alle angeschafft werden müssten.
Auf der anderen Seite sind die abgescannten Originale oft 70 Jahre und älter. Das zeigt sich nicht nur bei der Lesbarkeit der Scans, sondern auch an der Ausführung der Originale. In den meisten Fällen gibt es keine Taktzahlen und sehr oft auch keine Studierbuchstaben. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die gescannten Noten der Petrucci-Datenbank nicht nennenswert von den Noten der zahlreichen Reprint-Verlage; aber wer regelmäßig aus solchen Noten spielen muss, weiß, welchen zusätzlichen Aufwand an Zeit und Konzentra­tion dieses Arbeiten von allen Beteiligten erfordert.
Gerade als Orchestermusiker möchte ich an dieser Stelle jedoch auch eine Lanze für die Notenverlage brechen. Die neu aufgelegten Noten von gemeinfreien Werken sind in ihrer Qualität den preiswerten oder kostenfreien Noten oft deutlich überlegen. Nicht nur Taktzahlen und Studierbuchstaben erleichtern die Arbeit. Der Druck ist scharf und gut lesbar und das Papier übersteht auch mehrmaliges Radieren. Selbst das leidige Problem unpassender Wendestellen ist durch Leerseiten und ähnliche Maßnahmen oft so gelöst, dass auf zusätzliche (verbotene!) Wendekopien verzichtet werden kann.
Nicht zuletzt werden die Gewinne, die Verlage mit alten Werken machen, teilweise zur Finanzierung von Werken zeitgenössischer Komponisten eingesetzt. Und auch die vielen in den vergangenen Jahren erschienenen Unterrichtsmaterialien, die mit Mitspiel-CD und bunten Grafiken meist aufwändig ausgestattet sind, werden oft in niedrigen Auflagen von nur einigen tausend Exemplaren vertrieben. Das geht nur, solange die Verlage in anderen Bereichen genügend Geld verdienen.