© Oliver Berg

Rademacher, Ulrich

Musik-Campus Münster

Eine Jahrhundert-Chance: gemeinsame Räume von Musikschule, Hochschule und Sinfonieorchester in Münster

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 16

Es hieße, eine Jahrhundert-Chance zu nutzen, wenn es gelänge, die Vision eines Musik-Campus von Westfäli­scher Schule für Musik, Sinfonie­orchester und Musikhochschule Münster 100 Jahre nach der gemeinsamen Gründung Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Vision, die den Geist der Zusammenarbeit schon viele Jahre prägt, deren Potenzial sich aber erst in der räumlichen Nähe eines Campus voll entfalten könnte.

Zur gemeinsamen Gründung von Sinfonieorchester und Westfälischer Schule für Musik im Jahr 1919 schreibt Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster: „Das städtische Musikleben war für die Münsteraner schon damals alles andere als nebensächlich. In den Notzeiten nach dem Ersten Weltkrieg hatte Münsters Stadtverordnetenversammlung existenzielle Fragen zu klären. Aus Uniformen musste Kleidung für Kinder geschneidert werden. Genügend Lebensmittel für die Menschen bereitzustellen, war eine echte Herausforderung. Dennoch stellte die Stadtgesellschaft in dieser Phase entscheidende Weichen für Münsters Entwicklung als Kulturstadt. Das Sinfonieorchester wurde gegründet und der Vorläufer der heutigen Musikschule und der Musikhochschule. Die Erkenntnis für die elementare Bedeutung von Kultur gab es schon damals. Kultur und Musik waren für die Münsteraner und Münsteranerinnen sozusagen Grundnahrungsmittel.“1
Welch ein Gründer-Mut! Welch ein Gespür für die Kraft der Musik! Welch eine Gesamtsicht von musikalischer Bildung von Anfang an, lebenslangem Lernen, Ausbildung zukünftiger Pädagogen und Künstler, exzellentem Konzertleben, Amateurmusikszene, Kirchenmusik und vielem mehr!
Einer Idee „Raum geben“: Das liegt gerade in Münster wieder in der Luft. Und zwar durch eine konzeptionelle Verknüpfung der oben genannten Ziel- und Aufgabengebiete zu einem gedanklichen Power-Paket und gleichzeitig ganz konkret und zum Anfassen in Architektur gegossen. Die gegenseitige Befruchtung von freien und öffentlich geförderten Profis, das Voneinander-Lernen der Elementaren MusikerzieherInnen, Instrumental- und VokalpädagogInnen und Hochschullehrenden, das Kennen- und Genießen-Lernen von kultureller Vielfalt, das Lebendigkeit stiftende inklusive Lernen und Praktizieren von Musik wird nur gelingen, wenn ihm (im Wortsinn) Raum gegeben wird: Räume, die ein­laden, Räume nach allen Regeln der Kunst, Räume mit Kult-Potenzial. Und Räume, die für alle offen und ohne Schwelle zu betreten sind.

Kreativität fruchtbar machen

Auch heute gilt es wieder, die Kräfte zu bündeln und in gemeinsamer Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen die Rahmenbedingungen für ein gelingendes Leben mit Musik zu schaffen. Je besser wir wissen, was Musik zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen kann, desto mehr müssen wir einsetzen, um Teilhabe zu ermöglichen, um mit Musik Identität zu stiften. Das wird nur gelingen, wenn uns die Pflege unseres musikalischen Erbes genauso am Herzen liegt wie die Freude an kultureller Vielfalt und die Förderung zeitgenössischer Ausdrucksformen. Nur so können wir Deutschlands Top-Rohstoff Kreativität wieder fruchtbar machen, nur so können wir zu einem gesunden Ausgleich zwischen Emotio und Ratio finden. Genauso wie wir das Publikum von morgen erziehen, anstecken und begeistern wollen, müssen wir mit aller Kraft, mit aller verfügbaren Professionalität, Fantasie und Wertschätzung den dramatischen Fachkräftemangel lindern und beheben. Für mehr, junge, hochmotivierte und exzellente MusikerInnen – damit meine ich ausdrücklich gleichermaßen KünstlerInnen, PädagogInnen und ForscherInnen – brauchen wir die entsprechenden Studienplätze mit mehr Raum für Kunst, Pädagogik, Forschung, Praxis und Vielfalt!
In Deutschland entstehen immer mehr Partnerschaften und Patenschaften zwischen Ausbildungsinstitutionen und Kulturorchestern, besonders in Zusammenhang mit sogenannten Vermittlungs-, Audience Development- oder Education-Projekten. Musikhochschulen entdecken gerade die frühe Förderung von Hochbegabten als neues und attraktives Arbeitsfeld, allzu oft in mangelnder Absprache oder gar in Konkurrenz zu den Musikschulen. Bis dato sind die Allianzen zumeist bilateral und punktuell. Meist ist ein Orchester, eine Hochschule oder eine Musikschule Initiator und Motor.

Münsteraner Campus-Modell

Die Zusammenarbeit von Westfälischer Schule für Musik, Musikhochschule und Sinfonieorchester ist die einzige alle Bereiche von Musik und musikalischer Bildung durchdringende Dreier-Partnerschaft in Deutschland. Diese Einheit von Konzertbetrieb, musikalischer Bildung und musikalischer Praxis hat in Münster Geschichte und ist mit vertraglichen Vereinbarungen etwa zur Jugendakademie, zum Theaterjugendorchester oder zur „tutti pro“-Partnerschaft zwischen Westfälischer Schule für Musik und Sinfonieorchester im Konzert- und Lehrbetrieb fest verankert. Doch in dieser wegweisenden Dreier-Kooperation schlummert noch ein erhebliches Entwicklungspotenzial, das sich angesichts der unzureichenden und getrennten Unterbringung noch nicht entfalten kann. Ein gemeinsamer Campus würde diese Energie freisetzen.

1 Programmheft zum Festkonzert am 9. November 2019, hg. vom Theater Münster.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2020.