Oeser, Yvonne

Wie sag ich’s meinem Schüler?

Die Kraft der Metapher

Rubrik: Didaktik
erschienen in: üben & musizieren 3/2020 , Seite 54

Durch Bildung von Analogien auf der Grundlage von Ähnlichkeiten gelingt der Austausch zwischen Lehrenden und SchülerInnen im Medium der Sprache, obwohl deren Erfahrungs­standpunkte ganz unterschiedlich sein können.

Stellen wir uns folgende Situation vor: Die elfjährige Amine kommt direkt nach der Schu­le zum Klavierunterricht. Schon seit vier Wochen bemüht sie sich um einen Zugang zu Robert Schumanns Stück „Von fremden Ländern und Menschen“ aus den Kinderszenen. Amine ist motiviert, steht doch das nächste Klassenvorspiel in kurzer Zeit an. Sie hat sich fest vorgenommen, dieses berühmte Werk den anderen SchülerInnen, die natürlich ihre Fortschritte bewundern sollen, und den Eltern zu präsentieren. Nach kurzen einleitenden Worten beginnt Amine zu spielen, doch schon im zweiten Takt stockt der Bewegungsfluss, ihre Finger scheinen wie vor Kälte erstarrt und kämpfen sich mühsam weiter. Die vertrackte Stelle, das Über- und Ineinander von punktierter Achtelnote plus folgender Sechzehntel und Achteltriolen in der Begleitstimme – Amine ahnt noch nichts von den Schwierigkeiten in Beethovens „Mondscheinsonate“ – werden zum sich wiederholenden Störfaktor.
Alles in allem scheint Amine das Stück technisch bewältigen zu können, doch fehlt die innere Anteilnahme und damit jener schwer in Worte zu fassende Bereich des Ausdrucks. Was wird die Lehrerin tun? Wie wäre es mit Vorspielen? Schnell werden die Plätze getauscht und Amine darf eine überzeugende und inspirierte Interpretation dieses kleinen Opus hören, verbunden mit der freundlichen Aufforderung, es doch noch einmal selbst zu probieren. Das lässt sich Amine nicht zweimal sagen, hat sie doch viel vor. Sie gibt sich Mühe, doch…
Die Lehrerin versucht es anders. „Schau, hier gibt es eine Melodie in G-Dur, beginnend mit einem Sextsprung. Dann scheint dieselbe in ihrem Fluss gehemmt durch das Gegeneinander von punktierter Achtel und folgender Sechzehntelnote, während die Begleitung weiterhin den Triolenrhythmus in der Mittelstimme fortführt. Bedenke auch die Spannkraft vom Leitton fis und die Wirkung vom verminderten Septakkord bzw. der verkürzten Doppeldominante gleich am Anfang des Stücks.“
Amine hört mit großen Augen zu. Erstaunlich, was die Lehrerin da alles so zu sagen hat, doch eigentlich sind ihre Gedanken bei der letzten WhatsApp-Nachricht ihrer besten Freundin, die sie vor der Klavierstunde nicht mehr beantworten konnte. Der Lehrerin bleibt dies nicht verborgen und sie versucht es anders. „Kennst du Bilder von Seenotrettungsbooten, die sich durch die Wellen kämpfen müssen? Natürlich gab es noch nicht solche motorisierten Boote zu Schumanns Zeiten, da war es wohl eher ein Segelschiff, welches im Auf und Ab der Wellen seinen Weg finden musste. Spielen wir doch erst einmal die Triolenbegleitung und spüren in unseren Körper. Wie empfindest du solche Wellenbewegung? Wie würdest du dich dazu bewegen? Was machen deine Arme jetzt? Beobachte deine Finger.“

Erfahrungstransfer durch Sprachbilder

Was ist hier passiert? Die Lehrerin versucht, durch das Sprechen über die Musik eine Klangvorstellung in Amine zu erwecken. Ihre Worte sind anschaulich, bilderreich – kurzum: metaphorisch. Sie versucht, eine „Andockstelle“ in Amines Vorstellungs- und Empfindungswelt zu finden, vielleicht einen Kanal zu öffnen, von dem aus die Schülerin einen neuen Lösungsweg beschreiten kann. Die Präsentation des Zielergebnisses, sprich die Darbietung der Lehrerin, und ihre sprachlichen Aufforderungen, durchdrungen von der fachspezifischen Terminologie, sind lehrreich und wichtig, doch helfen sie Amine nur bedingt bei der Suche ihres Weges hin zum Verständnis und zur klanglichen Realisierung des Werks. Das pädagogische Diktum, den Schüler oder die Schülerin an dem Punkt abzuholen, wo er oder sie momentan steht, bewahrheitet sich immer wieder.1
Die metaphorische Sprache oder der metaphorische Denkstil erweist sich als klug anwendbares Mittel, um Brücken zu bauen zwischen der Gedanken- und Gefühlswelt der Jugendlichen und dem Kenntnisstand der Lehrerin, die einen langen Ausbildungsweg bestritten und im Laufe vieler Jahre ihre Sicht auf die Dinge gewonnen hat.
Mit dem Begriff Metapher (lat. „metaphora“) verbindet sich die Vorstellung der „Übertragung“ eines Wortes oder einer Wortgruppe aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen Kontext.2 Das Wissen um die Allgegenwärtigkeit des metaphorischen Charakters unseres Sprechens und Denkens erweitert die Definition des Terminus Metapher über seine traditionelle Bedeutung in der antiken Poetik und Rhetorik hinaus zu einer grundlegenden Form unserer Wahrnehmung und Kommunikation: „Metaphorizität ist das Wesen unserer kog­nitiven Aneignung der Welt.“3
Durch prägnante Sprachbilder kann ein Erfahrungstransfer in Gang gesetzt werden, wobei die Verdichtung bzw. Kürze der sprachlichen Äußerung im Bild der Metapher „semantische Lücken“ schließt, „die nur durch aufwendigere Umschreibungen“ zu füllen wären.4 Die besondere und komplexe Fähigkeit unseres Gehirns, auch ganz verschiedene, sogar gegensätzliche sinnliche Erfahrungen und kognitive Erkenntnisse zu vernetzen, verbunden mit emotionalen Konnotationen aufgrund der subjektiven Erfahrung im Laufe der eigenen Biografie, verstärken dieselben und lassen aufgrund des Emer­genzprinzips sogar neue Einsichten entstehen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.5
In der kognitiven Linguistik haben George Lakoff und Mark Johnson ausführlich dargelegt, wie unsere Sprache von Metaphern durchsetzt bzw. unser Denken beeinflusst ist, und damit eine breite wissenschaftliche, über die Sprachwissenschaften hinausgehende Diskussion in Gang gesetzt.6 Im pädagogischen Bereich jedoch sind nur vereinzelt Versuche unternommen worden, das Potenzial des metaphorischen Sprach- und Denkstils für den Instrumentalunterricht fruchtbar werden zu lassen bzw. das bewusste Reflektieren über das eigene Sprechen im Unterricht zu thematisieren.7 Gerhard Mantel hat in seinem lesenswerten Aufsatz zum „Üben und Sprechen“ auf der Grundlage der Interdepedenztheorie bzw. der wechselseitigen Abhängigkeit von Physis und Psyche des Ins­trumentalisten schon mit allem Nachdruck auf die Notwendigkeit und die Auswirkungen des Sprechens im Übeprozess hingewiesen.8 Das beinhaltet für ihn sogar das laute Sprechen mit sich selbst, welches das Bewusstwerden über die Teilziele beim Üben im Laufe der „rotierenden Aufmerksamkeit“ des Übenden fördert. Durch verbalisierte „Assoziationen, Bilder, Geschichten“ kann die „emotionale Erschließung der Musik“ gelingen.9 Das Anregen der Fantasie der Lernenden durch die sprechende Lehrperson hat in vielen Fällen deutliche Auswirkungen auf deren Darstellung.

Ahnendes verstehen

Die „mehrdimensionale“ und wechselseitige Wirkung bei der Verwendung von Metaphern im Unterrichtsgespräch betrifft nicht nur die Möglichkeit einer Begrifflichkeit und Kommunizierbarkeit von Körperempfindungen und damit auch Bewegungsvorstellungen zwischen Individuen, sondern auch das Erwecken von erwünschten Empfindungen beim Lernenden. KognitionsforscherInnen konnten nachweisen, dass bildhaftes Sprechen, z. B. „Sie hatte einen harten Tag“, das Sprachzent­rum aktiviert, aber interessanterweise auch jene Region, die für die Unterscheidung von Texturen befähigt ist, also zum Tastsinn gehört.10
Die Wirkung von Metaphern und bildhaftem Sprechen wird in den Sportwissenschaften eingehend diskutiert. Ausgehend von empirischen Forschungen setzt sich verstärkt die Erkenntnis durch, dass ein komplexer Bewegungsablauf von „Könnern“ nicht quasi abbildhaft vom „Lernenden“ erworben wird, sondern sich in einem zumeist langen Prozess der Auseinandersetzung Stück für Stück entwickelt, wobei das lernende Subjekt seine für ihn optimale Bewegungsform finden muss. „Personenunabhängige Idealbewegungen“ existieren nur auf dem Papier.11 Das Wissen um die Bedeutung der individuellen Voraussetzungen und das Wissen um die von Moment zu Moment sich ändernden äußeren und inneren Gegebenheiten einer Situation und damit verbunden die Nicht-­Wiederholbarkeit ein und desselben Bewegungsablaufs ermöglicht es, das Suchen und Probieren des Schülers, auch verbunden mit scheinbaren Fehlern, als etwas Positives zu bewerten.12
Die Lehrperson sollte dabei natürlich ihren Schüler oder ihre Schülerin begleiten und anleiten, indem sie im Gespräch auch mit Hilfe von Metaphern und bildhaftem Sprechen die Möglichkeit bietet, eigene Bewegungsvorstellungen zu entwickeln, die dann in individuelle Bewegungslösungen münden. Die scheinbare Ungenauigkeit metaphorischen Sprechens erweist sich dabei als vorteilhaft, engt sie doch das Lösungsspektrum am Anfang dieses Prozesses nicht unnötig ein und bietet in ihrer logischen Unfassbarkeit ein wirkungsmächtiges Instrument für ein ahnendes Verstehen.
Durch die Metapher kann die Verbindung einer zu erlernenden Bewegung mit Alltagserfahrungen in der Vorstellungswelt von SchülerInnen gelingen. Das Hinlenken durch die Lehrkraft auf Bewegungsvorstellungen, die schon bei den Lernenden vorhanden sind, befähigt diese, ihren Lösungsweg von ihrem Standort aus beginnend zu bestreiten. Die metaphorischen Bilder sprechen dabei zumeist mehrere Sinne an, verbunden mit emotionalen Momenten oder Konnotationen, was ihren Wirkungsgrad deutlich erweitert und sich günstig auf Motivation und Gedächtnisleistung auf Seiten der SchülerInnen auswirkt.

Mitarbeit des Gegenübers

Robert Schumanns Antwort auf Ludwig Rellstabs Kritik an den Kinderszenen ist bekannt: Seine Überschriften seien spätere Hinzufügungen, „nichts als feinere Fingerzeige für Vortrag und Auffassung“, kurzum: eine sprachliche, metaphorische Hilfestellung für die Spielenden.13 Ein Einstieg zum Verständnis des ersten Werks dieses Zyklus über den Titel „Von fremden Ländern und Menschen“ eröffnet eine Vielzahl von Zugangsmöglichkeiten: das erzählende Moment, der gleichmäßige Triolenfluss der Mittelstimme, das Fremdartige, das Hineinspüren in den harmonischen Ablauf, das Komplexe und Vielschichtige, die Polyfonie des Klaviersatzes, das Stockende, der konträre rhythmische Verlauf von Ober- und Mittelstimme.
Der Hinweis auf verschiedene Bewegungsvorstellungen, verbunden z. B. mit dem Medium „Wasser“ (Wellen, Wassertropfen, Auf und Ab, Widerstand und Fließen und vieles mehr), lassen die rotierende Aufmerksamkeit des Schülers oder der Schülerin nie ermüden. Alle Formen der Visualisierung (u. a. farbliche Gestaltung, grafische Darstellung, Ausdrucksbilder) erweitern den Radius möglicher Zugangskanäle zum Werk und beziehen ebenso Fähigkeiten mit ein, auf die SchülerInnen aufgrund ihrer Alltagserfahrungen schon zurückgreifen können. Über bilderreiche Sprache gelingt der Einstieg in Themen wie historischer Kontext, Harmonielehre, Kontrapunktik und so fort, ebenso zu technischen Lösungsvorschlägen, Pedal und Fingersatz… Die SchülerInnen werden zu Suchenden, sie sind Teil der Lösung und ihr aktives forschendes Üben verhindert Passivität und letztlich Langweile. Aufmerksam und interessiert – ganz so, wie wir uns unsere SchülerInnen wünschen.
Eine Metapher, die den Schüler „trifft“ – um mit Wolfgang Lessing zu sprechen14 –, die der passende Schlüssel zum Öffnen einer versperrten Tür ist, bedarf der kognitiven, sensorischen und emotionalen Mitarbeit des Gegenübers. Im Akt des subjektiven Übersetzens in die eigene Erfahrungswelt fällt es leichter, einen eigenen Weg zur Bewältigung eines bisher ungelösten Problems zu finden. Andererseits muss Lehrenden bewusst sein, dass auch die noch so gut gemeinte metaphorische Umschreibung eine Quelle von Missverständnissen sein kann. Es gibt eben nicht den Schüler, sondern immer nur Individuen: in unserem Falle Amine, die hoffent­-lich durch das metaphorische Sprechen nun ihren Schumann ganz anders interpretieren kann.

1 vgl. dazu Ursula Brandstätter: „Sprache und Sprechen im Instrumentalunterricht“, in: Ulrich Mahlert (Hg.): Spielen und Unterrichten, Mainz 1997, S. 75 f.
2 vgl. u. a. den Artikel „Metapher“ bei Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Metapher (Stand: 2.2.2019).
3 Ursula Brandstätter: Grundfragen der Ästhetik. Bild – Musik – Sprache – Körper, Stuttgart 2009, S. 25. Grundlegendes zum Verhältnis von Sprache und Musik in ­Ursula Brandstätter: Musik im Spiegel der Sprache. Theorie und Analyse des Sprechens über Musik, Stuttgart 1990.
4 s. Anm. 2, vgl. dazu z. B. das Wort „Flaschenhals“.
5 vgl. dazu Sebastian Herbst: „Sprache im Instrumentalunterricht. Eine Untersuchung über Inhalt und Funk­tion mündlicher Kommunikation im Klavierunterricht“, Dortmund 2013, S. 31, https://eldorado.tu-dortmund.de/handle/2003/33600 (Stand: 2.4.2020); ders.: „Nicht ­tadip, sondern plim. Instrumentalunterricht an den Grenzen des verbalsprachlich Vermittelbaren“, in: üben & musizieren 4/2019, S. 16 f.; Daniel Hesselmann: In Metaphern über Musik sprechen. Grundlagen zur Differenzierung metaphorischer Sprache im Musikunterricht, Köln 2015, S. 75 f.
6 vgl. George Lakoff/Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg 1998. Douglas R. Hofstatter nähert sich diesem Phänomen über den Begriff der Analogie, siehe Die Analogie. Das Herz des Denkens, Stuttgart 2014.
7 vgl. u. a. Herbst, „Sprache im Instrumentalunterricht“, s. Anm. 5; Jürgen Oberschmidt: Mit Metaphern Wissen schaffen. Erkenntnispotentiale metaphorischen Sprachgebrauchs im Umgang mit Musik, Augsburg 2011; Hesselmann, a. a. O.
8 vgl. Gerhard Mantel: „Üben und Sprechen“, in:
Ulrich Mahlert (Hg.): Handbuch Üben, Wiesbaden 2007, S. 336-346.
9 ebd., S. 342.
10 siehe u. a. „Wie Metaphern im Gehirn wirken“, https://sciencev2.orf.at/stories/1694339/index.html (Stand: 4.2.2019); vgl. dazu Manfred Spitzer: „Musik will gelernt sein“, in: Geist & Gehirn 7, 2011.
11 vgl. Wolfgang Schöllhorn: „Differenzielles Lehren und Lernen im Sport“, in: Sportunterricht, 2, 2009, S. 36-40, hier: S. 36, zitiert nach Ralf Laging: „Leitprinzipien einer pädagogischen Bewegungslehre. Sport aus fachdidaktischer Sicht“, www.diezeitschrift.de/42011/ fachdidaktik-04.pdf (Stand: 3.11.2019).
12 Schöllhorns Konzept impliziert ein „Rauschen“ im Lernprozess, das heißt es führt kein linearer Weg zum besten Ergebnis. Übertragen auf den Instrumentalunterricht dargestellt in Martin Widmaier: Zur Systemdynamik des Übens. Differenzielles Lernen am Klavier, Mainz 2016.
13 vgl. Otto von Irmer: Vorwort zur Ausgabe im Henle-Verlag, München 1969.
14 Wolfgang Lessing: „Bildersprache im Instrumentalunterricht“, in: üben & musizieren 4/2001, S. 30-37.

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