Vai, Steve

Vaideology

Grundlagen der Musiktheorie für Gitarristen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bosworth/Hal Leonard, London 2019
erschienen in: üben & musizieren 3/2020 , Seite 61

Steve Vai ist ein Ausnahmegitarrist mit zwölf Grammy-Nominierungen und drei gewonnenen Grammys, der in den 1980er Jahren mit Frank Zappa unterwegs war und später bei den G3-Konzerten auf Augenhöhe mit bzw. gegen Joe Satriani oder John Pet­rucci spielte. Steve Vai, bei dessen Namensnennung jeder ambitionierte Rockgitarrist weiche Knie bekommt, hat 2019 den Band Vaideology. Basic Music Theory for Guitarists vorgelegt, der jetzt auf Deutsch erschienen ist.
Vai beginnt ganz harmlos mit den Namen der Töne auf dem Gitarrengriffbrett. Aber dann hat er sich quasi eingespielt und legt los. Harmonisch geht es in Windeseile vom Aufbau eines Durakkords bis zum C7b5(b9), rhythmisch von der Aufteilung eines Takts in zwei halbe Noten bis zu einer Vigintriptomole (24), melodisch von einer C-Dur-Tonleiter bis zu lydisch vermindert. Das ist, wie der Rückentext verspricht, „eine geballte Ladung Musikwissen“, die auf knapp 100 Seiten ausgebreitet wird und ohne Probleme genügend Stoff für ein mehrbändiges Lehrwerk böte. So wird schnell deutlich, dass das Buch mitnichten „eine Einführung in die Grundlagen der Musiktheorie für aufstrebende Gitarristen“ ist, sondern eher, wie es zwei Seiten weiter steht: „Dieses Buch ist nicht als Gitarrenkurs an sich gedacht, sondern eher als grundlegendes Werk zur Musiktheorie.“
Als Kompendium einer Musiktheorie für GitarristInnen hat die grafisch schön aufbereitete Ausgabe ihre Stärken: Selten findet man so übersichtliche Tabellen wie eine Darstellung der Akkordsymbole von C5 bis C13(#11) mit exaktem Namen, den enthaltenen Tonstufen, alternativen Bezeichnungen und einem Kommentar – oder eine Darstellung der sieben Modi mit ihren Akkordskalen. Manches ist aber überflüssig wie die Auflistung aller möglichen Notenschlüssel, eine komplette Notenseite in Schlagzeug-Notation oder Beispiele von Vais Transkriptionen rhythmisch äußerst komplexer Ausschnitte aus Werken Frank Zappas, zumal drei Seiten zuvor erst die Notenwerte von der doppelten Ganzen bis zur Vierundsechzigstel erklärt wurden.
Bei so viel Musikwissen auf so wenig Raum bleibt eine vertiefende didaktische Aufarbeitung des Stoffs natürlich auf der Strecke. Es gibt keine klaren Übeaufgaben zum Ausfüllen und zum Spielen, keine Aufsplittung von Lernschritten in kleine aufbauende Einheiten, sondern viele kollegiale Sprüche, die sich so lesen, als hätte man gerade eine Privatstunde bei Steve, der einem zuraunt: „Irgendwann greifst du dir dein Instrument, und dieses schwierige Ding, das dir früher so unspielbar vorkam, geht dir jetzt ganz einfach und wie von selbst von der Hand“. Und man nickt wissend, übt weiter und hofft, irgendwann vielleicht ein kleines bisschen von dem zu können, was Steve kann.
Jörg Jewanski