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Sommerfeld, Jörg

Verkaufen wir unsere Schüler?

Wider die Sorglosigkeit: Datenschutz gilt auch in der Corona-Krise

Rubrik: Recht & Versicherung
erschienen in: üben & musizieren 4/2020 , Seite 32

Die aktuelle Situation erfordert die Digitalisierung des Unterrichts an Musikschulen mehr denn je. Viele Musikschulen haben sich bereits für Online-Unterrichtsformate geöffnet und teilen ihre ersten technischen und didaktischen Erfahrungen auf diversen Plattformen. Doch der Datenschutz ist in diesen Dis­kussionen leider unterrepräsentiert.

Eine kleine Internet-Recherche Anfang April, noch zu Beginn der Corona-Krise: In Google bringt die Anfrage „Musikschule un­terrichtet digital“ auf den ersten drei Seiten der Suchergebnisse 13 VdM-Musikschulen, sowohl deren Homepages als auch Presseartikel. Bei acht von ihnen wird das kostenlose Produkt Skype (Microsoft) genannt,1 bei fünf Facetime (Apple), drei weitere nennen Zoom als Unterrichtsplattform. Das Wort Datenschutz dagegen kommt in den Artikeln lediglich zweimal vor, in einem Fall mit der Formulierung: „Auch um den Datenschutz machten sich manche Sorgen. [Musikschulleitung] findet, das sei in diesen Zeiten nicht so wichtig.“

(Un-)gewünschte Einblicke und Datenprofile

Der Online-Instrumentalunterricht ist ein ungewohntes Unterrichtssetting. Auf der einen Seite ergeben sich plötzlich erhellende Einblicke zum Beispiel in die häusliche Übesituation der SchülerInnen; oder man kommt als Lehrkraft mit Eltern in direkten Kontakt, die man sonst vielleicht kaum erreicht. Auf der anderen Seite ergeben sich dadurch tagtäglich möglicherweise ungewünschte Einblicke in die privaten Räume von Lehrenden oder in das Privatleben von Familien, weil Kinder für einen Videounter­richt in kleinen Wohnungen keine Rückzugsmöglichkeit haben.
Für den Datenschutz wären diese Einblicke jedoch nicht das Kernproblem. Denn auch wenn es theoretisch denkbar ist, dass Videounterricht auf Servern gespeichert bleibt oder gesprochene Kommunikation im Textformat gespeichert wird,2 dürfte dies aufgrund des zu erwartenden Imageschadens und (bei Videos) wegen der enor­men Datenmenge eher unwahrscheinlich sein. Von der Speicherung der Verbindungsdaten, den sogenannten „Metadaten“, ist jedoch auszugehen, denn diese sind für die Funktionalität von Programmen wie Zoom erforderlich.
Besonders wertvoll für Internetfirmen ist die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen zu möglichst eindeutigen Personenprofilen. Was mit Auswertungsmethoden für „Big Data“ möglich ist, hat bereits 2016 der Informatiker David Kriesel mit dem „SpiegelMining“ demonstriert.3 Nur durch die Beobachtung der Internetseite Spiegel Online fand er zum Beispiel heraus, welcher Autor zu welchem Team gehört und zwischen welchen Spiegel-Mitarbeitern auch private Beziehungen bestehen. Sein Vortrag beim Kongress des Chaos Computer Clubs mit dem Titel „SpiegelMining – Reverse Engineering von Spiegel-Online“ hat bei YouTube 1,2 Millionen Views und ist auch für Laien verständlich.
Mit der Corona-Krise scheint für Internetfirmen durch die Verlagerung von Kommunikation in die digitale Welt nun ein goldenes Zeitalter zu beginnen. Man darf sich durchaus fragen, warum eine so wichtige und aufwändige Technologie wie die für Videokonferenzen kostenlos angeboten wird. Nach der dem Linguisten Noam Chomsky zugeschriebenen Aussage: „If you’re not paying for something, you’re not the customer; you’re the product being sold“4 verkaufen Musikschulen möglicherweise ihre Schüler, wenn sie auf kostenlose Anbieter zurückgreifen.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff spricht in diesem Zusammenhang noch deutlicher von der Marktform des Überwachungskapitalismus: „In diesen wachsenden Beständen von proprietärem Verhaltensüberschuss finden Sie Ihre Tränen, Ihre zornige Miene, die Geheimnisse, die Ihre Kinder mit ihren Puppen teilen, unsere Frühstücksunterhaltung, unsere Schlafgewohnheiten, den Lärmpegel in unserem Wohnzimmer, die Anordnung der Möbel darin, Ihre zerschlissenen Joggingschuhe, Ihr Zögern beim Anblick eines Pullovers auf einem Ladentisch…“5

1 Es gibt auch das kostenpflichtige Skype for Busi­ness, das datenschutzkonform eingesetzt werden kann. Der Autor kennt jedoch keine Musikschule, in der diese Alternative verwendet wird. Das kos­tenlose Skype hingegen ist sehr verbreitet. Dessen Nutzung für kostenpflichtige Musikschulangebote ist in den Nutzungsbedingungen wie bei vielen kostenlosen Anbietern übrigens ausgeschlossen, siehe www.skype.com/de/legal/ios/tos/#1 – Ziffer 4.2 (d).
2 Falls Sie z. B. Amazons digitalen Assis­tenten „Alexa“ nutzen, schauen Sie doch mal in Ihrem Amazonkonto nach, wie dort alle Ihre An­fragen wörtlich gespeichert sind.
3 www.dkriesel.com/spiegelmining (Stand: 28.5.2020).
4 http://blogs.harvard.edu/futureoftheinternet/ 2012/03/21/meme-patrol-when-something-online-is-free-youre-not-the-customer-youre-the-product (Stand: 28.5.2020).
5 vgl. https://netzpolitik.org/2019/im-zeitalter-des-ueberwachungskapitalismus (Stand: 28.5.2020).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2020.