Roth, Barbara

Anreize beim Üben

Wer oder was beeinflusst meine Motivation beim Üben?

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 4/2020 , Seite 52

Von 2006 bis 2010 wurde im Rahmen eines Dissertationsprojekts unter anderem ein Fragebogen entwickelt, mit dem verschiedene Anreize des Übens und Musizierens erfasst werden. Von 2012 bis 2017 fanden an Gymnasien und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen sowie an Universitäten weitere Datenerhebungen mit dem Ziel statt, den Fragebogen zu präzisieren, sodass er von Instrumentallehrkräften, Eltern und SpielerInnen genutzt werden kann.

Der Fragebogen bietet sowohl bei Lust als auch bei Unlust Anhaltspunkte dafür, welche Anreize beim Üben und Musizieren eventuell fehlen oder vermehrt gesetzt werden sollten, um die Motivation zu erhalten oder zu steigern. Anreize sind anziehende oder abstoßende Eigenschaften eines Ziels oder Objekts, die einen Aufforderungscharakter haben und mit positiven oder negativen Gefühlen verbunden sind. Beispielsweise stellt beim Erlernen eines Instruments das Spielen-Können eines Musikstücks, das einem richtig gut gefällt, einen anziehenden Anreiz dar. Dass in diesem Stück technisch schwierige Passagen vorkommen, die viel und konsequentes Üben erfordern, kann einen abstoßenden Anreiz darstellen. Im Fall hoher Motivation – man möchte das Musikstück unbedingt spielen können – fallen die Schwierigkeiten kaum ins Gewicht, man übt das Stück, bis man es kann.
Häufig liegt der Wert beim Üben und Musizieren in der Tätigkeit an sich, das heißt in deren Vollzug – und ist nicht an bestimmte Zwecke geknüpft, wie beispielsweise die Lehrkraft, die Eltern oder das Publikum zu erfreuen. Diese sogenannten tätigkeits- oder zweckzentrierten Anreize können miteinander verwoben sein. Bei künstlerischen und kreativen Tätigkeiten ist dies häufig der Fall. Anreize können an die Handlungstätigkeit selbst, das Handlungsergebnis und verschiedene Arten von Handlungsergebnisfolgen geknüpft sein.
Anreize stehen in Wechselwirkung mit Motiven. Motive sind Persönlichkeitsdispositionen. Sie beeinflussen die Wahl unserer Ziele und unser Handeln. Bei Interviews, die im Vorfeld der Fragebogenentstehung mit Ins­trumentalschülerInnen und Schulmusikstudierenden geführt wurden, wurden auf die Frage „Was ist dir beim Üben und Musizieren besonders wichtig?“ sehr unterschiedliche Aspekte genannt. Dazu gehören Aussagen wie „Fortschritte auf dem Instrument erzielen“, „mit anderen gemeinsam musizieren“ und „besser sein als andere und sie übertreffen“.

Leistungs-, Anschluss- und Machtmotiv

Vor dem Hintergrund motivationspsychologischer Theorien fällt auf, dass sich die genannten Aussagen verschiedenen Motiven zuordnen lassen. Zu den drei wichtigsten Motiven gehören das Leistungs-, Anschluss- und Macht-/Einflussmotiv.
Für Menschen mit einem stark ausgeprägten Leistungsmotiv haben Tätigkeiten Anreizcharakter, die eine angemessene Herausforderung darstellen, die einen hohen Anteil an Eigenverantwortlichkeit aufweisen und bei deren Durchführung sie durch die Tätigkeit an sich Rückmeldung über das Erreichte erhalten. Sie haben das Bedürfnis, ihre Leistung entlang eines eigenen Gütemaßstabs immer weiter zu steigern. Üben und Musizieren sind dafür geradezu prädestiniert. Die Aussage „Fortschritte auf dem Instrument erzielen“ ist dem Leistungsmotiv zuzuordnen, ebenso das Erleben von Erfolg nach längerem Üben sowie fachliche Kritik und hohe Anforderungen durch die Lehrperson.
Der Wunsch, „mit anderen gemeinsam zu musizieren“, ist dem Anschlussmotiv zuzuordnen. Das wesentliche Merkmal des Anschlussmotivs ist die Fähigkeit, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen und soziale Beziehungen so zu gestalten, dass beide Seiten dies als bereichernd erleben. Das Bedürfnis, zur Gruppe der „Musiker“ zu gehören und dort akzeptiert zu werden, gehört ebenso in den Bereich des Anschlussmotivs wie die Suche nach Kontakt, z. B. durch das Spielen in Orchestern oder das Singen in Chören.
Merkmale des Macht-/Einflussmotivs sind der effiziente Umgang mit der sozialen Umwelt und ihre Steuerung, Einflussnahme, Geltung, Kontrolle, Überlegenheit, Stärke und Dominanz. Die Aussage, „besser zu sein als andere und sie zu übertreffen“, gehört ebenso in den machtthematischen Bereich wie die zunehmende Kontrolle über das Instrument und die Bewegungsabläufe, die Begeisterung des Publikums sowie Vorspiel- oder Wettkampfsituationen zu meistern (z. B. bei Klassenvorspielen oder „Jugend musiziert“).
Alle drei Motive weisen eine Hoffnungs- und eine Furchtkomponente auf. Beim Leistungsmotiv sind es die „Hoffnung auf Erfolg“ und die „Furcht vor Misserfolg“; beim Anschlussmotiv sind es die „Hoffnung auf Anschluss“ und die „Furcht vor Zurückweisung“ und beim Macht-/Einflussmotiv die „Hoffnung auf Kontrolle“ bzw. die „Furcht vor Kontrollverlust“.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2020.