Halm, August

Klavierübung

Ein Lehrgang des Klavierspiels nach neuen Grundsätzen, zugleich erste Einführung in die Musik (1918/19), kommentiert und eingerichtet von Thomas Kabisch, Linde Großmann und Martin Widmaier

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: ortus, Beeskow 2019
erschienen in: üben & musizieren 4/2020 , Seite 58

August Halm (1869-1929) war Komponist, Musikpädagoge und Musiktheoretiker. Er wirkte unter anderem viele Jahre an der von ihm mitbegründeten Freien Schulgemeinde Wickersdorf, einer der prominentesten reformpädagogischen Internatsschulen während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Halms Name ist heute Musikwissenschaftlern und -theoretikern vertrauter als Musikpädagogen. Die umfangreiche Klavierübung geriet nach und nach in Vergessenheit. Der nun vorgelegte Reprint ist ein überaus verdienstvolles Projekt der drei Herausgebenden und des Verlags, der Preis für den großen, schönen, in Leinen gebundenen Band äußerst moderat.
Halms Klavierübung besteht neben erläuternden Texten aus insgesamt 571 durchweg kurzen, zum Teil nur auf einem System notierten Übungen und Musikstücken. Alle Übungen sind auch Musikstücke, alle Musikstücke fungieren als Übungen. Viele Nummern sind fragmentarisch notiert. Dem Übenden obliegt es, die Modelle zu ergänzen oder frei weiterzuspinnen. Halm wendet sich gegen das „Buchstabieren und Töneklauben“; „Notendienerei“ gilt ihm als „Hauptfeindin des Gruppierens und Gestaltens“. Klaviertechnische und musiktheoretische Grundlagen werden zusammen mit improvisatorischem Gestalten als Einheit vermittelt.
Halm lehrt, Themen und modellhafte Werkausschnitte als Quellen sinnvollen Übens zu erschließen: „befreien wir die in ihnen geborgene Fruchtbarkeit, so dürfen wir ganz gewiß einer Menge des Übungsstoffs absagen, mit dem man sonst unsere Jugend sich plagen läßt“. Grundprinzip der Klavierübung ist, „anstatt des Abhörunterrichts einen wirklichen Unterricht auf dem Klavier, oder sagen wir deutlicher: einen wahren Musikunterricht mit Hilfe des Klaviers zu geben.“ Das Lehrwerk ist darauf angelegt, „daß wir […] Schüler zu kleinen Abteilungen zusammennehmen können, ja daß solcher Klassenunterricht […] erst im gemeinsamen Arbeiten mehrerer seine beste Wirkung tut; daß er ferner manche Verlegenheit und Vergeblichkeit ausschaltet, die sonst etwa in Stunden eintritt, auf die nicht genügend geübt wurde – was ja überall auch bei gutem Willen einmal vorkommt.“
Kurz: Halms Klavierübung ist eine wahre Fundgrube für einen intelligenten, Lernende zu einem eigenständigen Explorieren von Musik anleitenden Klavierunterricht. – Die Edition besticht durch Sorgfalt und Fülle. Neben dem bestens reproduzierten Text der Klavierübung enthält sie einen Kommentarteil mit drei ausführlichen, höchst instruktiven Aufsätzen der Herausgeber. Danach folgen neun Aufsätze von August Halm, die seine musikpädagogischen und klaviermethodischen Anschauungen verdeutlichen, sowie editorische Hinweise.
Schade, dass die Herausgebenden ihren detektivischen Ehrgeiz nicht so weit getrieben haben, die vielen von Halm in seine Klavierübung eingebrachten Werke differenziert zu eruieren und anzugeben. Halm selbst hat sich damit begnügt, knappstmöglich lediglich die Komponisten und die Seiten, auf denen sich von ihnen stammende Stücke befinden, zu nennen. Gleichwohl: eine hervorragende Veröffentlichung, die allen an Klavierpädagogik, Klavierspiel und musikalischem Lernen Interessierten empfohlen sei.
Ulrich Mahlert