Koželuch, Leopold

Sechs leichte Sonaten für Klavier

Urtext, hg. von Christopher Hogwood

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2020
erschienen in: üben & musizieren 4/2020 , Seite 62

Haydn, Mozart und Beethoven: Auf dieses Dreigestirn haben Musikgeschichtsschreibung und Konzertpraxis die Wiener Klassik weitgehend reduziert, und viele andere Namen, zumal die der zahlreichen damals in Wien tätigen Musiker böhmischer Herkunft verschwanden lange Zeit völlig im Hintergrund. Das sahen die musikinteressierten Zeitgenossen noch ganz anders, was etwa den 1747 im nordböhmischen Velvary geborenen Leopold Koz˘eluch betrifft. Ihn nannte Ernst Ludwig Gerbers Historisch-Biographisches Lexikon der Tonkünstler von 1790 den „bey jung und alt … allgemein beliebtesten unter unsern itzt lebenden Komponisten“.
Koz˘eluchs einst überaus populäre Klaviermusik, gefällig in ihrer Erscheinung und berechnet für die Fähigkeiten von Musikliebhabern, geriet im Zeitalter der Romantik mit ihren gesteigerten virtuosen Ansprüchen völlig in Vergessenheit. Die insgesamt 50 Klaviersonaten Koz˘eluchs, die historisch den Übergang von Cembalo oder Clavichord zum heutigen Klavier bezeichnen, sind allerdings inzwischen wieder zugänglich: zum einen auf Tonträgern durch die Hammerklavier-Einspielungen von Kemp English und Jenny-Soonjin Kim. Zum anderen gibt es inzwischen eine vierbändige Gesamtausgabe aller gedruckten oder handschriftlich überlieferten Sonaten Koz˘eluchs, die in den Jahren 2010 bis 2015 bei Bärenreiter Praha erschien und von dem Cembalisten und Alte-Musik-Pionier Christopher Hogwood verantwortet wurde.
Einen Extrakt daraus, mit speziell ausgewählten sechs leichten Sonaten, bietet die vorliegende „Bärenreiter Urtext“-Ausgabe, die sich zum Kennenlernen des Komponisten, aber auch bestens für Unterrichtszwecke eignet. Koz˘eluchs Musik bewegt sich selbstverständlich ganz im Rahmen des damals zeittypischen Vokabulars, doch zeigen die ausgewählten zwei- bis dreisätzigen Kompositionen formal allerhand Abwechslung. Ausgewogenheit und leichte Fasslichkeit der Tonsprache münden nicht in Beiläufigkeit und Langeweile: Dafür sorgen auch bewusst gesetzte Gegenakzente wie in den Menuett-Trios der G-Dur-Sonate Nr. 37 bzw. des D-Dur-Werks Nr. 7, wo der Komponist zu Moll-Passagen wechselt oder mit Synkopen-Bewegungen experimentiert.
Beschränkt bleibt das Spektrum der Tonarten, das sich maximal, in der Es-Dur-Sonate Nr. 47, bis zu drei Vorzeichen bewegt. Ebenso begrenzt bleiben der auf die Mitte des Klaviers zentrierte Tonraum, die Griffweiten in beiden Händen sowie die Satzdichte, bei der ein meist zweistimmiger Kernsatz ausgeterzt oder akkordisch aufgefüllt wird.
Angeordnet sind die sechs „Leichten Sonaten“ tendenziell nach Schwierigkeitsgrad, angefangen mit der betont schlichten G-Dur-Sonate Nr. 37, während die folgenden Werke an mehreren Stellen schon eine leicht gehobene Geläufigkeit der Finger erfordern.
Gerhard Dietel