Voss, Rebecca

Singende Hände

Ganzheitliches Singen zu Weihnachten durch den Einsatz von Gebärden

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 5/2020 , Seite 24

Durch den Einsatz von Gebärden beim Singen können Lehrkräfte mehrere Anliegen verbinden: Durch Gebärden lässt sich der Text besser memorieren; ein synchron gebärdetes Lied fügt dem Gesang eine ästhetische, optische Komponente hinzu; der Inhalt des Liedes wird zumindest in Grundzügen auch für nichthörende Menschen sichtbar; wer beim Singen oder Sprechen unsicher ist, kann sich durch Gebärden aktiv in das musikalische Geschehen einbringen. Kurz: Es wird ganzheitliche Singarbeit geleistet.

Beim Singen mit Gebärden orientiert man sich an der Deutschen Gebärdensprache (DGS), verwendet jedoch das Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) bzw. die Lautsprachbegleitende Unterstützte Kommunikation (LUK). Diese Feststellung ist wichtig, weil die DGS eine eigene Sprache mit einer eigenen Grammatik und Syntax ist.* Bei der wörtlichen Übertragung eines Liedtextes in die DGS würden eventuell Gebärden nicht zum Zeitpunkt des gesungenen Wortes ausgeführt. Dadurch entstünden falsche Verbindungen von Wort und Gebärde. Ein weiterer Vorteil der Verwendung von Unterstützter Kommunikation anstelle von DGS ist, dass bei der Unterstützten Kommunikation nur Schlüsselwörter gebärdet werden. Das reduziert die Anzahl der zu lernenden Gebärden.
Für in Gebärdensprache nicht geübte Personen stellt das Erlernen von Gebärden eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Mehrere Gebärden so schnell auszuführen, dass das Lied noch musikalisch vertretbar gesungen werden kann, wird schnell zu einer unlösbaren Aufgabe. Die Reduzierung auf zwei, maximal drei Gebärden pro Liedzeile erleichtert den Lernprozess und gewährleistet eine musikalisch und ästhetisch ansprechende Ausführung.
Am einfachsten lernt die Gruppe die Gebärden durch imitatorisches Arbeiten. Das für diesen Beitrag ausgewählte Lied Auf Heu und Stroh bietet die Möglichkeit, bereits mit wenigen Gebärden das ganze Lied wenigstens teilweise zu gebärden. Grundsätzlich eignen sich zum Einstieg in das Singen mit Gebärden besonders Kanons oder – wie in diesem Beispiel – Lieder mit Refrains, da dadurch auch bei mehrstrophigen Liedern die Anzahl der zu lernenden Gebärden überschaubar bleibt.
Die Chorleitung muss im Vorfeld die Gebärden sicher einstudiert haben, um beim Üben mit der Gruppe ein souveränes Vorbild zu sein. In den Abbildungen auf der folgenden Doppelseite werden verbale Beschreibungen sowie Fotos der Gebärden gezeigt. Zudem gibt es eine knappe Übersicht der benötigten Handformen.
In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, die verbalen Beschreibungen direkt in den Noten zu vermerken, damit man auch nach einer längeren Pause schnell und unkomp­liziert die Gebärden an Ort und Stelle hat und nicht erst im Wörterbuch nachsehen muss. In den verbalen Beschreibungen ist stets die Handform angegeben sowie Ort und Richtung der Ausführung. Diese Details können bedeutungsunterscheidend sein, deswegen ist es wichtig, dass die Chorleitung die Gebärden korrekt einstudiert und vormacht. Es bewährt sich, zunächst den Text mit den Gebärden einzustudieren (auch zeilenweise) und erst anschließend, nachdem dies gut gelingt, die Melodie zu lernen – dann direkt mit den Gebärden.
Als Einstieg in das Singen mit Gebärden habe ich das französische Weihnachtslied Entre le boeuf et l’àne gris (Auf Heu und Stroh) in der deutschen Übertragung von Christoph Mohr gewählt. Das Lied hat einen Refrain, es ist melodisch interessant, lässt sich vielfältig gestalten und bietet neben dem Einsatz von Gebärden eine gute Möglichkeit zum Einstieg in die Mehrstimmigkeit. Zudem kann ein Wechsel zwischen Solo und Tutti vorgenommen werden.

 

* Die Deutsche Gebärdensprache ist nicht standardisiert. Deswegen gibt es regionale Unterschiede und Abweichungen. In diesem Beitrag werden Gebärden aus dem Gebärdenwörterbuch von Karin Kestner und Tiemo Hollmann verwendet (siehe Literatur): Über 19000 Begriffe ermöglichen einen flexiblen Einsatz. Die Videos der einzelnen Gebärden können in Zeitlupe angesehen werden und eine Kopierfunktion mit Zeichenmöglichkeit erleichtert das Erstellen von Gebärdenübersichten für den eigenen Gebrauch.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2020.