© fizkes_www.stock.adobe.com

Rüdiger, Felicitas

Kollegialer Austausch

Supervision an Musikschulen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2020 , Seite 14

Supervision kann die Reflexion des pädagogischen Handelns fördern, Unterstützung im vielfältigen Berufsalltag von Musikschullehrkräften bieten, neue Handlungsspielräume im Umgang mit SchülerInnen, Eltern und KollegInnen eröffnen und das kollegiale Miteinander positiv unterstützen.

Der Beruf der Musikschullehrerin ist für mich der schönste, den ich mir vorstellen kann. Ich schätze die Vielfalt der Aufgabenbereiche und der Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, ich freue mich über den Austausch und die Zusammenarbeit mit den KollegInnen und ich bin dankbar für den großen inhalt­lichen und methodischen Gestaltungsspielraum, den mir dieser Beruf lässt. All diese positiven Seiten der Arbeit an einer Musikschule können auch fordernd, zehrend und ermüdend sein – das wird jeder, der länger in diesem Beruf arbeitet, schon erlebt haben.
Ist von den beruflichen Belastungen die Rede, wird oft der Vergleich zu Lehrkräften an allgemein bildenden Schulen gezogen: „In manchen Punkten aber sind die psychischen Belastungen für den Musikschullehrer deutlich höher: Oft ist er an Unterrichtsstand­orten allein, das heißt, ohne die Möglichkeit des kollegialen Austauschs. Manchmal muss er im Lauf des Unterrichtstages den Standort wechseln.“1 Dieses Zitat beschreibt die Anforderungen, denen MusikschullehrerInnen gegenüberstehen, nur ansatzweise. Es trifft aber den Kern zweier zentraler Punkte: die schwierigen äußeren Bedingungen und die Tendenz des „Alles-alleine-Machens“, mit wenig Austauschmöglichkeit und gegenseitiger Anregung.

Beziehungsgeflecht und Aufgabenspektrum

Musikschullehrkräfte befinden sich beruflich in einem Beziehungsgeflecht (Abb. 1) mit vielfältigen und umfangreichen Aufgaben im Arbeitsfeld Musikschule (Abb. 2).2

Das dargestellte Beziehungsgeflecht und die große Anzahl der Aufgaben bieten viele Chancen und Möglichkeiten, verlangen aber auch ein hohes Maß an Selbstreflexion, Kreativität, Kommunikationsvermögen, Empathie, Konfliktfähigkeit, Toleranz und bei all dem auch Freude und Begeisterungsfähigkeit für die Arbeit mit Mensch und Musik.
Pädagogische Berufe sind implizit reflexive Berufe. Sie verlangen eine „Gleichzeitigkeit von Drinnensein (in der sozialen Situation, die man reflexiv gestaltet) und Draußensein (die Situation, in der man sich befindet, von außen betrachten, damit man sie steuern kann). Reflexive Tätigkeit stellt so etwas wie das Paradox eines Bogens dar, der gleichzeitig schießt (wodurch er sich üblicherweise entspannt) und dennoch seine Spannung, die es ermöglicht zu schießen, aufrechterhält.“3 Das gleichzeitige Drinnen- und Draußensein ist auch zentral im wichtigen Bereich der Identitätsarbeit an Musikschulen: „Lehrkräfte vermitteln also ständig zwischen den Bedürfnissen von SchülerInnen und den Anforderungen von musikalischen Communities, arbeiten also genau an dieser Schnittstelle zwischen Innen und Außen, an der sich Identitätsarbeit abspielt.“4
Dass Musikschullehrkräfte ihre SchülerInnen beim Finden der musikalischen Identität unterstützen und dass dies eine zentrale Aufgabe von Unterricht ist, scheint logisch. Wie, wo und durch wen wird aber die Identitäts­arbeit der Lehrkräfte unterstützt, die sich im Spannungsfeld verschiedenster, in ständigem Wandel begriffener Anforderungen befinden? Wo haben Sorgen, Ängste, Probleme, Zweifel ihren Platz und ihre Berechtigung? Wie wichtig ist die Selbstreflexion im Inneren, um außen gut arbeiten zu können? Vielleicht können die im Folgenden beschriebenen Bereiche beruflicher Beratung einen ersten Denkanstoß oder gar eine Antwort geben.

Formen beruflicher Beratung

Die Strategien, wie jeder Einzelne mit beruflichen Belastungen und Herausforderungen umgeht, sind ganz verschieden. Eine sehr gute, bislang an Musikschulen wenig genutzte Möglichkeit, um das eigene Handeln zu reflektieren, die oben genannten persönlichen Eigenschaften zur Geltung bringen zu können und sich im Austausch mit anderen neue Handlungsspielräume zu eröffnen, ist die Supervision.
Der Begriff „Supervision“ ist im künstlerischen und musikpädagogischen Kontext, mit einigen Ausnahmen,5 bisher weitgehend unbekannt und die wenigsten verbinden damit eine konkrete Vorstellung. Die Wortbedeutung, aus dem Lateinischen kommend: „den Überblick haben“ oder auch „von oben drauf schauen“, weckt oftmals Assoziationen von Kontrolle und Überwachung. Der Zugang ist möglicherweise unvoreingenommener und leichter, wenn einfach von einer Form beruflicher Beratung gesprochen wird. Beratung ist hier nicht im Sinne eines Defizits zu verstehen, weil die Leistung oder die Kompetenz im Beruf nicht genügen, sondern als Chance, um innezuhalten, Neues zu erfahren über sich und den Beruf, bisher unerkannte Möglichkeiten und eigene Ressourcen zu nutzen und sich selbst dabei besser kennenzulernen.
Eine andere, MusikerInnen meist geläufigere Form von Beratung ist das Coaching. Es steht im künstlerischen Kontext oft in Verbindung mit der Unterstützung zur Erreichung eines konkreten Ziels wie einer Aufnahmeprüfung, einer Bewerbung für die Leitungsposition an einer Musikschule oder eines Probespiels für eine Orchesterstelle. Oftmals werden die Begriffe Supervision und Coaching synonym verwendet, was allerdings nicht präzise ist. Der Begriff des Coachings kommt ursprünglich aus dem Leistungssport und impliziert immer, einen anderen gezielt für eine Auf­gabe „fit zu machen“. Der Gedanke der Ziel­erreichung steht hier im Vordergrund. Häufig nehmen Führungskräfte ein Coaching in Anspruch, wenn sie in der Hierarchie ihrer Organisation weiter aufsteigen oder den Arbeitgeber wechseln und den neuen Ansprüchen gerecht werden möchten.
Supervision hingegen hat ihren Ursprung im Umfeld der sozialen Arbeit und ist auf eine grundlegende Begleitung und Reflexion des eigenen beruflichen Handelns im Spannungsfeld von Person, Organisation und beruflicher Rolle angelegt. Supervision kann dabei auch zu einer Qualitätsverbesserung der Arbeit führen, aber das ist nicht ihr vornehm­liches Ziel. Im Zentrum steht die Person mit ihren Wünschen, Vorstellungen, Nöten und Konflikten, die während des Supervisionsprozesses die Möglichkeit bekommt, auf sich und ihr berufliches Wirken aus einer Metaperspektive zu schauen und so neue Wege und Handlungsspielräume zu entdecken. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass sich Supervision klar von Therapie abgrenzt. Es geht immer um die berufliche Seite der Person und um ihr Handeln im Hier und Jetzt. Supervision hat neben der reflektierenden auch eine entlastende Funktion durch den von ausgebildeten SupervisorInnen professionell angeleiteten Prozess des Austauschs mit KollegInnen. Wie kann das an einer Musikschule konkret aussehen?

1 Anja Bossen/Katrin Steinbach: „Alles anders als früher, nur das Honorar nicht“, in: neue musikzeitung 5/2012, www.nmz.de/artikel/alles-anders-als-frueher-nur-das-honorar-nicht (Stand: 28.06.2020).
2 Zugrunde liegt diesen Schaubildern der Strukturplan des VdM.
3 Kurt Buchinger: Die Zukunft der Supervision. Aspekte eines neuen „Berufs“, Heidelberg 1999, S. 22.
4 Natalia Ardila-Mantilla: „,…die Weitergabe des Feuers‘? Musikschullehrende zwischen Traditionspflege und Identitätsarbeit“, in: Ivo I. Berg/Hannah Lindmaier/ Peter Röbke (Hg.): Vorzeichenwechsel. Gesellschaftspolitische Dimensionen von Musikpädagogik heute, Müns­ter 2020, S. 75.
5 vgl. Brigitte Bernhard Gauss: „Neue Sichtweisen erschließen. Supervision für Instrumentallehrpersonen“, in: üben & musizieren 4/2013, S. 46-49.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2020.