© Janika Löttgen

Dartsch, Michael

Auf neuen Wegen

Elementare Musikpraxis im Zeichen von Digitalisierung und ­Kontaktbeschränkung

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2021 , Seite 14

Auch in der Elementaren Musikpraxis ist seit der Corona-Pandemie vieles anders, als es vorher war. Vertrautes Terrain musste verlassen, neue Wege mussten beschritten werden. Zunächst soll es in diesem Beitrag um die Erfahrungen gehen, die dabei gewonnen wurden. Im zweiten Schritt wird gefragt, was diese Erfahrungen für die Elementare Musikpraxis als Unterrichtsfach beziehungsweise für die Elementare Musikpädagogik als Disziplin bedeuten.

Um eine Grundlage für die Beantwortung der Frage nach den Erfahrungen zu gewinnen, habe ich von August bis Oktober 2020 – vor der zweiten Pandemiewelle – eine Befragung durchgeführt. Da es dabei nicht um statis­tische Repräsentativität gehen sollte, sondern um ein Verständnis für die Sichtweisen und Erlebnisse von Lehrpersonen, wurde auf eine große Stichprobe verzichtet. Stattdessen habe ich, wie es in der qualitativen Forschung üblich ist, eine überschaubare Anzahl ausgewählt und auf persönlich bekannte Personen, aber auch Lehrkräfte zurückgegriffen, von denen durch Bekannte berichtet worden war, dass sie sich intensiv mit der Situation auseinandergesetzt hatten.
Ihnen wurde ein Fragebogen zugesandt, der zunächst Orte und Unterrichtsformen erhob. Sodann wurde in offener Form nach positiven und negativen Erfahrungen gefragt. Damit war die Hoffnung verbunden, eine breite Palette von Herangehensweisen und Erfahrungen ab­zudecken. Von 30 angeschriebenen Personen kamen 18 Fragebögen aus acht Bundesländern zurück. Die freien Antworten wurden mit Kategorien versehen; die Maßgabe war dabei, ähnliche Erfahrungen zusammenzufassen und dennoch eine möglichst große Vielfalt an indivi­duellen Aspekten zu erhalten. Fast alle Erfahrungen bezogen sich auf Elementare Musikpraxis mit Kindern.

Von Begeisterung bis Überforderung

Bei der Abfrage der Organisationsform des Unterrichts wurden Vorgaben zum Ankreuzen angeboten; die Vorgaben lassen sich dabei grob in die drei Kategorien „Onlineunterricht“, „Versenden oder Hochladen von Materialien“ und „Präsenzunterricht“ unterteilen. Hier können nun auch Quantitäten betrachtet werden. Wenngleich sie nicht repräsentativ sind, können die Tendenzen dennoch von Interesse sein: In der Hälfte der Fälle lagen Erfahrungen mit verschiedenen Organisationsformen vor. Insgesamt hatten 13 Personen Materialien verschickt. Am häufigsten – in elf von 18 Fällen – wurden Videos versandt, etwas weniger häufig – je achtmal – auch Audio-Dateien und Arbeitsblätter. Einige Lehrpersonen ließen sich dabei Videos, Bilder oder Feedback von den Familien zurücksenden.
Auch Erfahrungen mit Präsenzunterricht während der ersten Welle der Pandemie waren recht häufig; dies kreuzten zehn Personen an. Dabei wurden die Gruppen häufig geteilt, sodass Halbgruppen unterrichtet wurden. Meist wurden den Kindern im Unterrichtsraum feste Plätze zugewiesen; hierauf wurde nur bei bestehenden Kita-Gruppen verzichtet. Außerdem wurde in einem Fall von einer Plexiglaswand und in einigen Fällen von Unterricht im Freien berichtet. Vergleichsweise selten wurde online, also als Videokonferenz unterrichtet: Vier Personen taten dies mit ganzen Gruppen, zwei mit einzelnen Kindern. Selten kam es auch zum vollständigen Erliegen bzw. zum Abbruch des Unterrichts aufgrund der Kontaktbeschränkungen.
Von besonderem Interesse waren die positiven und negativen Erfahrungen, von denen berichtet wurde. Obgleich diese recht individuell ausfielen, zeigten sich auch einige Übereinstimmungen. Mehrfach wurde beispielsweise bezüglich des Versendens oder Hochladens von Materialien hervorgehoben, dass die Kinder sich mit diesen nicht nur einmal, sondern mehrmals in der Woche beschäftigt hatten. Außerdem war dabei häufig ein größerer Teil der Familie des jeweiligen Kindes einbezogen. So berichteten einige Lehrpersonen, dass sie auch nach Corona weiter Materialien versenden wollen. Als schöne Erfahrung wurden auch die Rücksendungen von Kindern verbucht. So schreibt etwa Janika Löttgen aus Köln, diese hätten ihr „die doch schwierige Zeit sehr versüßt“. Weiter regte die Arbeit mit Videos Lehrpersonen zur Beschäftigung mit digitalen Medien an wie auch zur Selbstreflexion, sieht man sich doch auf den fertigen Filmen einmal selbst in Aktion.
Mehrere Lehrpersonen mussten allerdings die Erfahrung machen, dass das Interesse an den Materialien mit der Zeit nachließ – eine längere Phase so zu bestreiten, dürfte sich daher als nicht einfach darstellen. Überdies hängt die Nutzung der Materialien, wie geschrieben wurde, stark von den Möglichkeiten und dem Engagement der Eltern ab. Schließlich erzählten zwei Personen auch von Kindern, die durch die Videos zum Weinen gebracht wurden. Die Betroffenen deuten dies als Trauer über den Wegfall von Präsenzunterricht bzw. als Überforderung mit der ungewohnten Situation.

Durchaus positive ­Erfahrungen

Für das Versenden oder Hochladen von Materialien wie für Onlineunterricht gilt gleichermaßen die in den Fragebögen häufig getroffene Feststellung, dass ein persönlicher Kontakt hierdurch nicht zu ersetzen sei. Das Fehlen sozialer Interaktionen innerhalb der Gruppe bis hin zum sinnlichen Spüren des Gegenübers – für Katharina Gesell aus Saarbrücken schlicht „alternativlos“ – wurde in größter Übereinstimmung immer wieder beklagt. Nichtsdestoweniger konnten auch mit dem Onlineunterricht positive Erfahrungen verbunden werden. Wenn auch über ein digitales Medium, so konnte doch immerhin ein Kontakt aufrechterhalten werden. Auch mit dieser Unterrichtsform können Eltern aktiviert und Familien einbezogen werden. Gemeinsames Musizieren aber ist wegen der Latenzzeit kaum möglich. Vielmehr galt es, Mikrofone stummzuschalten, was teilweise von den Eltern geleistet werden musste. Schließlich spielt die digitale Ausstattung auf Seiten der Lehrpersonen wie der Eltern eine gewisse Rolle für den Erfolg des Angebots.
Mehrere Lehrpersonen, die in Präsenzform gearbeitet hatten, berichten, dass die Kinder gut mit den jeweiligen Abstandsregeln zurechtkamen und diese auch durchaus ernst nahmen. Wo halbe Gruppen unterrichtet wurden, konnte dies auch als Entspannung gegenüber der gewohnten Gruppengröße erlebt werden und Raum für vertiefte Arbeit schaffen. Als schwierig erlebten einige Lehrpersonen Situationen, in denen die Kinder davon abgehalten werden mussten, sich näherzukommen oder doch zu singen. Generell wurde das Fehlen des Singens ebenso beklagt wie Einschränkungen im Bereich der Bewegung. Stattdessen konnten unter Umständen Musikstücke stärker als vorher im Zentrum stehen.
Für sich selbst konnten viele Befragte der Krise durchaus positive Seiten abgewinnen. So wurde mehrfach erwähnt, dass man auf neue Ideen gekommen sei, den Austausch und die Zusammenarbeit im Kollegium wertgeschätzt habe oder ein starkes Engagement bei Kooperationspartnern erleben konnte. Nimmt man die Tatsache hinzu, dass sich in den Fragebögen nur selten Klagen über mehr Arbeit durch den Einsatz digitaler Medien fanden, so scheint sich hier eine hohe Motivation der Betroffenen zu zeigen.

Ergebnisse aus Landesverbänden

Auch der Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen hat Erfahrungen mit der Elementaren Musikpraxis in Zeiten von Corona aufgearbeitet. In einer einschlägigen, auf einer schriftlichen Abfrage basierenden Untersuchung vom Juni 20201 finden sich auch statistische Angaben: Mehr als die Hälfte der an einer Abfrage beteiligten nordrhein-westfälischen Musikschulen setzten digitale Medien ein, bei knapp 40 Prozent wurden – manchmal auch gruppenübergreifend – Materialien erstellt und versandt. Nur an drei Prozent der Schulen wurde ausschließlich per Video-Konferenz unterrichtet, während etwa zehn Prozent beides mischten. Dabei wurden die Video-Live-Sitzungen allgemein auf zehn bis 35 Minuten verkürzt und durch das Versenden oder Hochladen von Material ergänzt.
Als Problemfelder erscheinen u. a. die mangelnde Ausstattung der Musikschulen, fehlende Kenntnisse, Fragen der Persönlichkeits- und Urheberrechte, mögliche Verletzungen des Datenschutzes und die Einhaltung der Begrenzung von Bildschirmzeiten. Folgt man der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, sollten Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren höchstens 30 Minuten täglich und nur gemeinsam mit Bezugspersonen vor dem Bildschirm sitzen.2
Des Weiteren scheinen Reaktionen von Kindern über den Bildschirm schwerer zu deuten. Auch in der nordrhein-westfälischen Untersuchung wird auf die Einschränkungen in puncto Gruppendynamik, Zusammenmusizieren und Bewegen, aber auch bezüglich haptischer Erlebnisse verwiesen. Ebenso wird die Notwendigkeit elterlicher Unterstützung aufgeführt. Schließlich, so die Aussage, werden die Angebote nicht immer gut angenommen. Das Papier enthält darüber hinaus Best-practice-Beispiele und hilfreiche Links. Ein weiteres Statement stammt vom Fach­forum EMP/Rhythmik des Landesverbandes der Musikschulen Baden-Württembergs. Dort finden sich konkrete Empfehlungen für Lehrpersonen und Musikschulleitungen „zum elementaren Unterricht an Musikschulen während der Corona-Pandemie“.3

1 Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen: Fern­unterricht in der Elementaren Musikpädagogik, 2020, https://lvdm-nrw.de/wp-content/uploads/2020/06/auswertungemp-umfrage_fernunterricht_10-06-20.pdf (Stand: 12.11.2020).
2 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Tabelle: Wie oft und wie lange dürfen Kinder Medien nutzen? 0-6 Jahre, 2020, www.kindergesundheit-info.de/ themen/medien/alltagstipps/mediennutzung/hoechstdauer (Stand: 12.11.2020).
3 Fachforum EMP/Rhythmik des Landesverbandes der Musikschulen Baden-Württembergs: Empfehlungen des Fachforums EMP/Rhythmik zum elementaren Unterricht an Musikschulen während der Corona-Pandemie, 2020, www.musikschulen-bw.de/wp-content/uploads/ 2020-11-12-Empfehlungen-Fachforum-EMP-Rhythmik-LVdM-BW.pdf (Stand: 22.11.2020).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2021.