Aigner, Wilfried / Michaela Hahn / Michael Huber

Im Pandemie-Modus

Erste Ergebnisse einer österreichweiten Studie zum musikalischen Distance Learning

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 2/2021 , Seite 48

Der erste Lockdown im Frühjahr 2020 war ein einschneidendes Ereignis. Für den Musikunterricht an Schulen und Musikschulen bedeutete er einen Sprung ins kalte Wasser – Online­unterricht stand im musikpädagogischen Alltag zuvor kaum zur Debatte. Was hat in dieser neuen Situation funktioniert, wie haben Musik­lehrende diese Zeit erlebt und welche Erfahrungen und Aspekte könnten auch in Zukunft relevant bleiben? Diesen Fragen widmet sich die österreichische Studie „MUDIL – Musika­lisches Distance Learning“ der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.1

Die Musikpädagogik zählt nicht zu den Vorreiterdisziplinen in Sachen Technologie-Affinität.2 Umso mehr waren Musikschulen bzw. der schulische Musikunterricht unmittelbar und gravierend vom ersten Lockdown betroffen. Ab 16. März 2020 standen alle Schulen in Österreich neun Wochen lang leer. Die Einstellung des Präsenzunterrichts als Maßnahme zur Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus stellte Musiklehrende vor die Situation, ihren Unterricht nur noch online umsetzen zu können. Ab Mitte Mai konnte der Präsenzunterricht schrittweise und unter Einhaltung strenger Schutzmaßnahmen wieder aufgenommen werden. So war an Musikschulen vor allem Einzel- bzw. ab Juni auch wieder Kleingruppenunterricht möglich, im Schulunterricht wurde mit geteilten Gruppen und hybriden Settings gearbeitet.
Ausgehend von der Fragestellung, wie und in welchem Ausmaß musikalische Bildung im Distance Learning stattgefunden hat und welche besonderen Herausforderungen Musiklehrende erlebt haben, galt das Forschungsinteresse sowohl der Musikschularbeit als auch dem Musikunterricht in Schulklassen sowie einem musiksoziologischen Blick auf soziale Ungleichheit. Mit dem Ziel, einen möglichst breiten Blick auf die österreichi­sche musikpädagogische Landschaft in diesem Zeitraum zu erhalten, wurde eine quantitative Fragebogenerhebung zu den unterschiedlichen Einstellungen, Erfahrungen und Umgangsweisen einzelner Lehrenden-Gruppen durchgeführt. Neben strukturellen Fragen zielte die Befragung vor allem auf die musikpädagogische Praxis, deren Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Herausforderungen ab.
Im Juli 2020 haben über das anonyme Online-Tool LimeSurvey 1158 Personen den umfangreichen Fragebogen weitgehend vollständig und somit seriös auswertbar ausgefüllt. Das Antwortverhalten wurde mittels Häufigkeitsvergleichen anhand sozialer Merkmale und fachspezifischer Unterschiede untersucht. Alle in der Ergebnispräsentation beschriebenen und interpretierten Zusammenhänge sind statistisch signifikant.
Wer hat an der Befragung teilgenommen? Hinsichtlich Alter und Geschlecht zeigt ein Blick auf die Sozialstruktur der erreichten Musiklehrenden ein ziemlich getreues Abbild der Realität: Der Wohnort der Befragten liegt zu 93% in Österreich, zu 6% in Südtirol.3 Die Befragten arbeiten vor allem in Niederösterreich (27%), Oberösterreich (23%), Tirol (11%) und Wien (10%). Ebenso wie die Bundesländer sind auch die Schultypen, in denen die Musiklehrenden arbeiten, unterschiedlich stark repräsentiert. Der Löwenanteil von 82% aller Befragten arbeitet in Landes- und Gemeindemusikschulen. Auf Regelschulen der Sekundarstufe (mit oder ohne Musikschwerpunkt) entfallen 14%, der Rest entfällt auf private und sonstige Arbeitsfelder.4 Dieses Verhältnis spiegelt sich auch bei den Gruppengrößen wider: 79% arbeiten (auch) im Einzelunterricht, rund die Hälfte im Gruppen- und Ensembleunterricht und 17% mit Regelschulklassen. Für den Bereich der Musikschule hat die Befragung mit 933 Teilnehmenden (das sind rund 12% der rund 7500 Musikschullehrenden in Österreich und Südtirol) gute Resonanz gefunden.

Musik lehren im Homeoffice

Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 wurde von den Pädagoginnen und Pädagogen ganz überwiegend von zuhause aus unterrichtet, die Schule konnte nicht einmal ein Zehntel der Befragten als Arbeitsstandort nutzen. Unter den vereinzelt genannten weiteren Optionen finden sich des Öfteren Angaben wie „Proberaum“, „Studio“ u. Ä., also branchentypische Ausweichmöglichkeiten, aber auch vereinzelte Hinweise auf Not­lösungen, in denen die Drastik dieser Ausnahmesituation deutlich wird, wie etwa „Hotel“, „Bücherei“ oder „im Haushalt meiner Schwiegereltern, da stundenlanges Video­telefonieren mit einem 5-Jährigen zuhause nicht funktioniert“.
Smartphone und Laptop waren für mehr als drei Viertel der Befragten die Hauptarbeitsgeräte. Ältere Befragte weisen abweichende Nutzungsschemata auf: Mit steigendem Alter ist mehr Desktop- bzw. weniger Smartphone-Nutzung zu verzeichnen. Außerdem fällt auf, dass die Verwendung von zusätzlichen Peripheriegeräten (z. B. Audio-Interface, USB-Keyboard) im Popularmusikbereich sowie bei Männern stärker ausgeprägt ist.

1 s. Projekt-Website www.mdw.ac.at/imp/mudil (Stand: 26.11.2020).
2 vgl. Michael Ahlers: „Quo vadis, Computer? Digitale Medien im Musikunterricht. Bestandsaufnahme, Analysen, Ausblicke“, in: Musik und Unterricht (94), 2009,
S. 52-55; Wilfried Aigner: Komponieren zwischen Schule und Social Web. Eine entwicklungsorientierte Studie, Augsburg 2017, S. 19 ff.
3 Südtirols Musikschulen wurden als Teil der KOMU (Konferenz der österreichischen Musikschulwerke) in die Befragung miteinbezogen.
4 Lehrende der Primarstufe konnten aus forschungspragmatischen Gründen nicht mit einbezogen werden.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2021.