Beethoven, Ludwig van

Sonaten für Klavier und Violine I und II

Urtext, hg. von Clive Brown, Partitur mit Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2020
erschienen in: üben & musizieren 2/2021 , Seite 62

Erwartungsgemäß hat der Bärenreiter-Verlag im Beethoven-Jahr eine neue Urtextausgabe sämtlicher Sonaten für Violine und Klavier vorgelegt. Herausgeber Clive Brown, seit vielen Jahren mit fundierten Neueditionen von Kammermusik für Violine und Klavier befasst, begnügt sich nicht nur damit, einen wissenschaftlich-kritischen Notentext dieser für das Violinrepertoire zentralen Werkgruppe zu erstellen, sondern er legt auch besonderen Wert darauf, in den Einleitungsteilen beider Bände die aktuellen Erkenntnisse zur Interpretation zusammenzufassen. Dabei geht es zunächst um die Entstehung der Sonaten, die aus dem historischen Kontext heraus aufgeschlüsselt wird und dadurch Beethovens Schaffen in seiner Wechselwirkung mit Vorbildern und Zeitgenossen zeigt.
Für Einstudierung und Wiedergabe besonders bedeutsam sind die umfassenden Darlegungen zur Notation, die es sich zur Aufgabe machen, die Diskrepanzen zwischen Notentext und aufführungspraktischen Gegebenheiten zu erkunden. Zwar dürfte sich herumgesprochen haben, dass die musikalische Umsetzung einer Notation immer bestimmten zeitgenössischen Konventionen verpflichtet ist, die im Laufe der Zeit oft verloren gehen oder von andere Praktiken überdeckt werden; dies ist allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Wissen, wie einzelne Details – beispielsweise „Noten ohne Bindebogen und Staccato oder Akkorde ohne Arpeggio-Zeichen“ – auszuführen sind, wenn man sich von schlechten Gewohnheiten verabschieden und den Weg zu einer dem historischen Umfeld adäquateren Interpretation einschlagen möchte.
Letzteres unterstützt der Herausgeber durch eine Überblicksdarstellung, die unter Einbeziehung zahlreicher musikalischer und musiktheoretischer Quellen sowie unter Bezugnahme auf verschiedene interpretatorische Ansätze Einblicke in Probleme von Temponahme, mehrdeutiger Notation, Ausdrucks- und Dynamikbezeichnungen, Artikulation, Verzierungen und Bogenführung gibt. Damit liefert Brown heutigen Interpretinnen und Interpreten einen Grundbestand an unverzichtbaren Richtlinien, die sich bei Bedarf anhand der genannten Literatur sowie unter Benutzung der online zur Verfügung stehenden Ressourcen vertiefen lassen.
Dass all diese Informationen nicht isoliert bleiben, gewährleistet der Herausgeber zudem dadurch, dass er – ein Mehrwert gegenüber sämtlichen anderen Ausgaben – den gesondert gedruckten Violinpart mit zahlreichen Fußnoten versieht, in denen passgenau auf die im Einleitungsteil diskutierten Probleme und Lösungsstrategien verwiesen wird. Browns Edition enthält darüber hinaus – eine Premiere im Hinblick auf die Werkgruppe der Violinsonaten – einen detaillierten Kritischen Bericht und geht damit über die entsprechenden Bände der neuen Beethoven-Gesamtausgabe hinaus.
Stefan Drees