Bollack, Laura / Miriam Büttner / Andreas Doerne / Annika Enders / Corduls Fels-Puia / Leonore Gäbel / Lars Ponath

Traum oder Albtraum?

Praxisschock im Praxischeck

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 06

Dieser Beitrag basiert auf einem schriftlichen Online-Gespräch von Absol­ven­tInnen des Masterstudien­gangs Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Freiburg, in dem die AutorInnen sich über ihre unterschiedlichen Erlebnisse aus der Praxis ausgetauscht haben. Bei der hier wiedergegebenen Fassung ­handelt es sich um einen Auszug aus dem entstandenen Gespräch, das bewusst als ergebnisoffenes Experiment gestaltet wurde.

Für diesen Beitrag zum Thema „Praxisschock“ haben wir Autorinnen und Autoren uns zu einem Schreibkollektiv zusammengefunden. Genauso unterschiedlich, wie unsere Persönlichkeiten sich seit dem einige Jahre zurückliegenden Studium entwickelten, gestalteten sich auch unsere Lebensläufe, Ausbildungen und Übergänge vom Studium in die Praxis. Für manch eine verlief der Übergang reibungslos, für manch anderen hält der Praxisschock noch an und manifestiert sich in Momenten der Schockstarre.

Praeludium: Was ist eigentlich ein Praxisschock?

Leonore: Eine Bezeichnung für den nicht reibungslosen Übergang von einer gerade durchlaufenen Lebensphase in eine neue, unbekannte Lebensphase.
Laura: Aus einer anfänglichen Schockstarre den eigenen Handlungsspielraum zurückerobern. Und umgekehrt: Sich aus einer dynamischen Offenheit plötzlich in einer starren Enge wiederfinden.
Andreas: Ein plötzliches Realisieren, dass die Welt da draußen nicht auf mich gewartet hat.
Annika: Die Erkenntnis, dass ich in einem Beruf(szweig) gelandet bin, den ich so eigentlich nie ergreifen wollte.
Andreas und Annika: Das Gewahrwerden, in der Ausbildung zu wenig oder das Falsche gelernt zu haben (und somit schlecht auf den Berufsalltag vorbereitet zu sein). Ein Moment, in dem man seine eigene Handlungsunfähigkeit erkennt.
Andreas: Die Erkenntnis, die wahren Anforderungen des gewählten Berufs nicht gekannt oder unterschätzt zu haben.
Annika: Der Moment, in dem der Glaube daran zerstört wird, dass man mit dem Zeugnis „fertig“ ausgebildet ist.
Andreas: Eine irreführende Konstruktion, die einen falschen Dualismus zwischen Theorie und Praxis als Tatsache setzt. So, als würden beide getrennt voneinander existieren.
Leonore: Das Verlassen der Komfortzone.
Leonore: Die Herausforderung, den richtigen Zeitpunkt für den Übergang zu erkennen und sich (individuell) bestmöglich darauf vorzubereiten.
Andreas: Ein „Kampfbegriff“, der benutzt wird, um freie und offene Bildungsräume zu diskreditieren.

Kein Praxisschock

Leonore: Meinen Einstieg ins Berufsleben würde ich einen fließenden Übergang nennen. Ich wusste allerdings schon mindestens zwei Jahre vor meinem Masterabschluss, dass ich mich selbstständig machen wollte, und habe gezielt darauf hingearbeitet.
Miriam: Mir ging es ähnlich. Der Übergang vom Studium in den Berufsalltag war fließend, da ich bereits ab meinem zweiten Studiensemester eine kleine Stelle an einer Musikschule übernehmen konnte. Für mich war es ideal, parallel zum theoretischen Lernen im Studium Praxiserfahrungen sammeln zu können.
Annika: Mein Übergang in den instrumentalpädagogischen Berufszweig verlief sehr glatt. Bereits zu Schulzeiten unterrichtete ich Klavier, sodass es für mich eine Selbstverständlichkeit war, parallel zum Studium Unterricht anzubieten. Rückblickend fühlte es sich an wie ein gleichmäßiges Hineinwachsen in den Berufszweig.
Andreas: Mir ging es ähnlich: Als ich 13 Jahre alt war, hatte ich meine ersten Schüler. Und diese ersten, frühen, informellen Erfahrungen des Selbstunterrichtens waren sehr wertvoll für mich, denn sie bescherten mir einen reichen Erfahrungsschatz, von dem ich heute noch zehre.
Laura: Ich habe dieselbe Erfahrung gemacht: Bereits zu Schulzeiten unterrichtete ich Klavier und Gesang. Rückblickend hat sich diese Situation des kontinuierlichen Hineinwachsens in das Tätigkeitsfeld im Studium einfach fortgesetzt.

Positiver Praxisschock

Annika: Meinen Berufseinstieg habe ich als eine Art positiven Praxisschock erlebt: Meine Befürchtung, dass mit dem Ende des Studiums das Lernen endet, hat sich nicht bewahrheitet. Aktuell arbeite ich unter anderem in einem Berufszweig, dessen beruf­liches Anforderungsprofil mein Lebenslauf zwar erfüllt, den ich jedoch so nicht studiert habe. Für mich ist diese Situation eine großartige Lerngelegenheit und ich bin glücklich, dass meine Entwicklung nach dem Studium eben gerade nicht aufhört, sondern dass sich mein Horizont (dank eines Fehlers im System) in eine ganz andere Richtung erweitern darf.
Laura: Das kann ich bestätigen. In meinem Berufsalltag denke ich mich regelmäßig in neue Situationen ein, entdecke und lerne Neues. Verändert hat sich dabei nur, dass ich formal nicht mehr in der Rolle der Lernenden bin.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2021.

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