Herbst, Sebastian

Zur Situation der Amateurmusikszene

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 35

Chormusik in deutschen Amateurchören sowie instrumentales Laien- und Amateurmusizieren sind vor einigen Jahren in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenommen worden. Die große Bedeutung der Amateurmusikszene in Deutschland konnte kürzlich durch eine Studie bestätigt werden, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag des deutschen Musikinformationszentrums durchgeführt hat. Die Medien berichteten anschließend: 19 Prozent der deutschen Bevölkerung ab sechs Jahren musizieren in ihrer Freizeit. Das ist sehr erfreulich. Bei der Bewertung der Ergebnisse ist aber zum einen zu berücksichtigen, dass zu den 19 Prozent der musizierenden Bevölkerung auch diejenigen gezählt werden, die bei privaten oder geselligen Anlässen singen. Zum anderen bedeutet das Ergebnis auch, dass 81 Prozent der Bevölkerung angeben, nicht zu musizieren. Aber: Der Anteil an musizierenden Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 15 Jahren ist mit 48 Prozent deutlich höher, jedoch besuchen nur 33 Prozent davon eine Musikschule. In der Altersgruppe ab 16 Jahren besuchen lediglich 3 Prozent der AmateurmusikerInnen eine Musikschule.
Die Studie liefert viele wichtige Anregungen für die weitere Arbeit. Dazu gehören Ergebnisse zur Verteilung nach Geschlechtern und sozialer Herkunft ebenso wie Ergebnisse zum Einstiegsalter, zu Orten und Gelegenheiten des Amateurmusizierens. Zudem zeichnet die Studie ein genaueres Bild über die Regelmäßigkeit des Musizierens. So musizieren AmateurmusikerInnen laut Studie prinzipiell regelmäßig, jedoch gibt es Hinweise auf Veränderungen seit Beginn der Corona-Pandemie. In beiden Altersgruppen zeigt sich, dass ein Teil angibt, häufiger zu musizieren, während andere angeben, dies seltener zu tun. Wie zu erwarten zeigen sich die Auswirkungen besonders deutlich bei den SängerInnen. Insgesamt singen 48 Prozent der SängerInnen seltener, was vor allem durch (fehlende) Ensembleaktivitäten zu erklären ist.
Die Sicht auf die Situation in der Corona-Pandemie aus der Perspektive von Amateurensembles hat der Bundesverband Chor & Orchester e. V. im Dezember 2020 im Rahmen einer verbandsübergreifenden Befragung erhoben, an der 3682 Personen teilgenommen haben, jedoch mit unterschiedlich reger Teilnahme nach Bundesländern. Die Ergebnisse sind also vor dem Hintergrund zu bewerten, dass 40 Prozent der Teilnehmenden ihr Ensemble in Baden-Württemberg verorten, 18 Prozent in Hessen, 10 Prozent in Nordrhein-Westfalen und 10 Prozent in Bayern.
54 Prozent geben an, dass ca. drei Viertel der üblichen Proben seit Beginn der Pandemie ausgefallen sind, weitere 22 Prozent geben an, dass alle üblichen Proben ausgefallen sind. Allerdings heißt das nicht, dass keine Proben stattgefunden haben. Nach Möglichkeit wurden Alternativen genutzt: Präsenzproben im Freien, Präsenzproben in Kleingruppen und in deutlich geringerem Ausmaß sowie – eher bei Ensembles mit jüngerer Besetzung – auch Online-Proben. Für die Konzertsituation sieht das anders aus: 89 Prozent der Konzerte sind ausgefallen, nur 11 Prozent fanden in veränderter Form statt. Während zum einen nach Orten gesucht wurde, die die Einhaltung von Hygienemaßnahmen ermöglichten, wurden zum anderen Aufführungsformate wie Videos, Hörspiele oder Wandelkonzerte erprobt.
Die Stimmung ist eher gedrückt: 61 Prozent geben an, dass sie Traurigkeit oder Wut über den Ausfall von Konzerten und Proben empfinden und lediglich 12 Prozent erleben nach ihrer Aussage Freude an neuen Probenformaten. Dabei sorgen sie sich jedoch weniger um den Verlust musikalischer Qualität (58 Prozent) als um den sozialen Zusammenhalt im Ensemble (73 Prozent), der durch andere soziale Angebote, unabhängig von musikalischen Proben, aufrechtzuerhalten versucht wird.
„Nach einem schwarzen Jahr für die Amateurmusik mit 1400 Konzertausfällen täglich brauchen wir einen musikalischen Neustart“, so Benjamin Strasser, Präsident des Bundesverbands Chor & Orchester e. V. Förderprogramme wie „Neustart Amateurmusik“ setzen sich dies zum Ziel. In der aktuellen Situation ist aber klar, dass es dabei nicht um eine Anschubfinanzierung zur Wiederherstellung gewohnter Proben- und Konzertformate gehen kann. Vielmehr erfordert die angestrebte Wiederbelebung des Probenbetriebs auch ein mutiges Erproben alternativer sowie neuer Proben- und Konzertformate, an denen dann hoffentlich ein größerer Teil Freude erlebt. Unabhängig von der Überbrückung der Zeit in der Corona-Pandemie ist es als Gewinn und Wertschätzung für die Amateurmusikszene zu betrachten, wenn im Rahmen der Förderprogramme neue, lebendige und abwechslungsreiche Formate entwickelt werden können, die Einzug in den Proben- und Konzertalltag halten und hoffentlich auch nach der Corona-Pandemie Teil der Amateurmusikszene bleiben.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2021.