Orff, Carl

Erinnerungen

Leben und Werk

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2020
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 55

Carl Orff hat noch zu Lebzeiten gemeinsam mit anderen Autoren eine Dokumentation über sein Werk erarbeitet, das in acht Bänden bei H. Schneider in Tutzing erschienen ist. Sowohl die monumentale Ausstattung der Bände wie auch ihr Preis verhinderten leider eine breite Rezeption. Die begrüßenswerte Neuerscheinung versammelt eine Auswahl wichtiger Texte aus dieser Dokumentation, die für das Verständnis von Orffs Werk von substanzieller Bedeutung sind. Das betrifft Orffs Jugend und Werdegang, das Orff-Schulwerk, die Trionfi, die Märchenstücke, das Bairische Welttheater und die Griechendramen.
Vor allem die Texte aus den ersten drei Bänden der Dokumentation bringen unverzichtbares Material zu Orffs Leben, zur Stilfindung und zum Verständnis seines kompositorischen Werks wie auch des Schulwerks. Sie sind umso wichtiger, als bis heute keine aktuelle Biografie über Orff existiert. Quantitativ steht das Material aus den Bänden 1 bis 3 im Vordergrund – und das ist gut so.
Orff erzählt sehr lebendig und kulturgeschichtlich informativ über seine Kindheit und Jugend. Dass Orffs Weg zur Stilfindung über musikwissenschaftliche Studien zur Vokalpolyfonie und zu Monteverdi führt, die Orff „Lehrjahre bei den Alten Meistern“ genannt hat, dürfte für viele neu sein. Besondere Bedeutung sowohl für das kompositorische wie für das pädagogische Werk hat Orffs Tätigkeit als Musiklehrer an der Günther-Schule für Gymnastik und Tanz in München. Seine Begegnung mit dem Ausdruckstanz Mary Wigmans und mit dem Wissensschatz des Musikanthropologen Curt Sachs verdichtet sich in der Idee des „Elementaren“ und der „Elementaren Musik“.
Man verfolgt gespannt die Aneignung und Aktivierung des für Orffs Werk so typischen Schlaginstrumentariums, immer in Verbindung mit dem Tanz. Die typischen Bordun- und Ostinatostrukturen werden in ihrer Herkunft aus der improvisatorischen Arbeit mit den Schülerinnen erklärbar, an der Orffs Mitarbeiterin Gunild Keetman so wesentlichen Anteil hat.
Auch die ganz persönlichen Erläuterungen Orffs zu seinem Musiktheater, sowohl zur Dramaturgie als auch zu Aufführungen und Rezeption liest man mit großem Gewinn. Bei der Lektüre von Orffs Erläuterungen zur Bernauerin, ein Stück, das für Orff eine Herzensangelegenheit war, entfaltet sich Stück für Stück das ganze literarische, philologische, dramaturgische und kompositorische Handwerk dieses mit der Sprache von der Antike bis zur Tradition seiner bayerischen Heimat so eng verbundenen Komponisten.
Die originale Orff-Dokumentation enthält sehr viele Notenbeispiele, auf die man mit Rücksicht auf den Umfang des Bandes verzichtet hat. Auch von dem umfangreichen Bildmaterial der Dokumentation konnte im vorliegenden Band nur eine kleine Auswahl Platz finden. Man kann daher Studierenden wie Orff-Fans empfehlen, auch die originalen Bände in die Hand zu nehmen.
Michael Kugler