Stoffers, Nina

Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Transkulturelle Kinder- und Jugendbildung im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: transcript, Bielefeld 2019
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 57

Kunst als Allheilmittel – in Diskursen kultureller Bildung finden sich häufig hohe Ziele. So sollen Projekte nicht nur kulturelle Teilhabe ermöglichen, sondern z. B. auch zur Entwicklung der Persönlichkeit und zum Abbau von Ungerechtigkeiten beitragen. Besonders groß sind die Erwartungen und Wirkungsversprechungen im Feld musikalischer Bildung.
Hier knüpft die Kulturwissenschaftlerin Nina Stoffers mit kritischen Fragen an. Welcher Kulturbegriff liegt transkulturellen Projekten zugrunde und welche Folgen hat dies für die kulturelle Teilhabe? Erreichen inklusiv verstandene Projekte ihre Ziele, wenn sie gleichzeitig auch für strukturelle Ausschlüsse mitverantwortlich sind?
Die interdisziplinäre diskursanalytische Arbeit zeigt, dass oft zwar explizit Einschlüsse angestrebt werden („Inklusion“), im jeweiligen Diskurs aber zugleich und meist implizit Mechanismen wirken, durch die Ausschlüsse produziert werden („Exklusion“). Gegenstand der empirischen Studie sind drei Musikvermittlungsprojekte mit Roma-Kindern und
-Jugendlichen, die mittels teilnehmender Beobachtung, Leitfadeninterviews, Dokumentensammlung, Grounded Theory und „Dichter Beschreibung“ qualitativ beforscht wurden (Datenerhebung 2010 bis 2012).
Als „Inkludierende Exklusion“ bezeichnet die Autorin das Gesamtergebnis ihrer Studie und meint damit die paradoxe Gleichzeitigkeit von Inklusion und Exklusion im Spannungsfeld von Empowerment und Othering. Etliche Annahmen und Versprechungen von Diskursen kultureller Bildung werden in der Arbeit als widersprüchlich oder fragwürdig entlarvt. Damit werden Impulse gegeben, genau(er) auf das Spannungsfeld von Empowerment und Othering zu schauen, die Verschränkungen von Inklusion und Exklusion intensiver zu reflektieren und sie in angemessener Form transparent zu machen.
Die Autorin liefert keine konkreten Lösungsansätze für die musikpädagogische Praxis – zumal die Arbeit sich auch nicht in der wissenschaftlichen Musikpädagogik verortet, wie u. a. die verwendete Literatur unschwer verdeutlicht –, dafür jedoch auf der Basis von Grundlagenwissen (etwa zu Varianten des Kulturbegriffs, die sie teils eigenständig weiterentwickelt) und ihrer empirischen Pilotstudie vielfältige Reflexionsanstöße.
Generell zeigt sich einmal mehr die Schwierigkeit, sich widerspruchsfrei mit dieser Thematik zu beschäftigen; dass nach der Lektüre mehr Fragen als Antworten bleiben, kann auch als Qualitätsausweis gelten. Wer sich offen und kritisch zugleich auf die spannenden Fragen, Anregungen und Ergebnisse der Arbeit einlässt und sich nicht den musikpädagogischen Wind aus den Segeln nehmen lässt, kann im Blick auf eigene Praxis- oder Forschungsprojekte sehr von der Lektüre profitieren.
Andrea Welte