Bossen, Anja / Christin Tellisch (Hg.)

Musikpädagogik als Beitrag zur Demokratiebildung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Universitätsverlag Potsdam, 2020
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 57

Was haben Musik und Demokratie miteinander zu tun? Wo liegen die Verbindungen zwischen politischer und musikalischer Bildung und wie können grundlegende Kompetenzen der Demokratiebildung im Musikunterricht vermittelt werden? Fragen, denen acht Autorinnen und Autoren im vorliegenden Büchlein nachgehen. Gerade in Krisenzeiten, so die Herausgeberinnen Anja Bossen und Christin Tellisch, sei das demokratiefördernde ­Potenzial des Musikunterrichts wichtiger denn je. Denn „letztlich geht es um Demokratie als Lebensform“.
Musik zeigt Wirkung, etwa beim gemeinsamen öffentlichen Musizieren, das, wie die Musikpädagogin Anja Bossen feststellt, das Selbstwertgefühl stärken und einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit leisten kann. Daher fordert sie ein musikpädagogisches Gesamtkonzept, um einzelne Maßnahmen – etwa kostenfreie Angebote für sozial Schwache – aufeinander abzustimmen.
Die Musikwissenschaftlerin Ulrike Liedtke untersucht die Rolle der Musik im Miteinander der Kulturen und stellt fest, dass Musik jenen Dialog ermöglicht, den die Demokratie suchen sollte: „Musik braucht die Demokratie nicht, aber die Demokratie braucht Musik.“ Für Vinzenz Jander, Lehrer für Musik und Politische Bildung, entfaltet sich das demokratiepolitische Potenzial der Musik in der Gruppenimprovisation, also im gemeinschaftlichen Einigungsprozess.
Christin Tellisch, Professorin für Schulpädagogik, betont die Bedeutung einer wertschätzenden pädagogischen Beziehung im Unterricht, Dozent Alexander Lipp befasst sich mit Partizipation als Instrument für nachhaltiges Lernen und der Umsetzbarkeit im Musikunterricht, die Lehrerin und Chorleiterin Ulrike Schubach beleuchtet die Schwierigkeiten für Lehrende, den Rahmenlehrplan zu erfüllen und gleichzeitig überfachliche Kompetenzen zu fördern. Um die Fortbildung für Musiklehrkräfte geht es im Beitrag der langjährigen Lehrerin Karin Wittram und die Musikpädagogin Annette Breitsprecher hat sich die Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa vorgenommen und untersucht ihren Zusammenhang mit der Musikpädagogik.
Aufgelockert werden die stellenweise doch einigermaßen trockenen Texte durch Fallbeispiele und Anekdoten. So erzählt Ulrike Liedtke von einem Konzert für Instrumentenspenden an geflüchtete MusikerInnen, bei dem ein junger Mann aus dem Publikum spontan zu tanzen beginnt. Christin Tellisch berichtet von einem Lehrer, der mit Aggressivität auf die eigenwillige Liedgestaltung eines Schülers reagiert und Vinzenz Jander gibt praktische Tipps für Gruppenimprovisationen im Musikunterricht.
Bei all dem wird klar, dass Musik weit mehr Möglichkeiten hat, als „nur“ zu unterhalten, dass sie gesellschaftlich wirken und demokratiepolitisch sensibilisieren kann – und dass sie als „soziale Kunst“ eine entscheidende Rolle in der Demokratiebildung spielen sollte.
Irene Binal