Berg, Ivo I. / Hannah Lindmaier / Peter Röbke (Hg.)

Vorzeichenwechsel

Gesellschaftspolitische ­Dimensionen von ­Musikpädagogik heute

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2020
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 58

Gesellschaftspolitische Entwicklungen fordern die Musikpädagogik und ihr Selbstverständnis als „exklusive künstlerische Ausbildung“ heraus, sich intensiv mit den Themen Inklusion und Diversität auseinanderzusetzen und sich diesbezüglich zu positionieren. Doch worin äußert sich eine zeitgemäße Musikvermittlung, die allen Menschen Zugang zum Musizieren ermöglicht? Reicht dazu eine Modifikation der musikpädagogischen Arbeit oder bedarf es einer grundsätzlichen Neuorientierung?
Diesen Fragen widmet sich dieser Band, der ein Symposium, das im November 2017 an der Univer­sität für Musik und darstellende Kunst Wien stattfand, dokumentiert. Seine vielschichtigen Beiträge in Form von Vorträgen, Diskussionen und Interviews sind in Anstöße (Teil I) sowie die Diskursräume Verorten, Öffnen, Handeln und Bilden (Teil II) gegliedert. Musikpädagogisches Engagement wird mit Blick auf Zugang, Ausgrenzung und musikalische Identitätsbildung kontrovers beleuchtet. Dabei kommen neben instrumentalpädagogischen „Stimmen“ auch Perspektiven der Bildungsforschung und Cultural Studies zu Wort.
Diskussionsstoff liefern die Begrifflichkeiten Diversität und Inklusion an sich sowie ihre Chancen und Grenzen im Verhältnis von pädagogischen Zielsetzungen und deren Umsetzung in der Unterrichtspraxis. Es werden inklusive Musikprojekte u. a. zum Thema Migration vorgestellt, musikalische Großprojekte mit dem Anspruch auf gesellschaft­liche Transformationen (Barenboim-Said-Stiftung) kritisch hinterfragt und Spannungsräume zwischen politischem Engagement und Musikförderung (Musikpädagogik und Rechtspopulismus in Österreich) aufgezeigt. Auch die Balance zwischen der Pflege musikalischer Traditionen und individueller musikalischer Identitätsfindung sowie die Kopplung von Musik und Bildung mit einem Musikverständnis, das westliche klassische Musik bevorzugt und andere Musikstile degradiert, stellen zentrale Themen des Buchs dar.
Eindeutige Antworten und Patentrezepte in Bezug auf die Ausgangsfragen zur (Neu)ausrichtung der Musikpädagogik werden innerhalb der Beiträge nicht geliefert; dies ist aber auch nicht der Anspruch der Publikation. Vielmehr möchten die AutorInnen das Bewusstsein für Ungleichheiten und Bewertungssysteme schärfen und MusikpädagogInnen ermutigen, die eigene Arbeit sowie die Standpunkte von Institutionen kritisch zu ref­lektieren und sich in der Zukunft offen mit den Forderungen nach Diversität und Vielfalt auseinanderzusetzen.
Peter Röbke fasst diese Eigenverantwortung treffend zusammen: „ MusikpädagogInnen sind zwar keine PolitikerInnen, aber ihr Tun ist so oder so gesellschaftlich verortet und relevant. Eigentlich stellt sich nur die Frage, ob man sich dieser Sachlage aktiv stellt oder die Augen davor verschließt.“
Anna Catharina Nimczik