Busch, Barbara

Das Ganze im Blick

Gedanken künstlerisch-pädagogischer Leitungskräfte zu ihrem beruflichen Selbstkonzept

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 16

„Um berufliches Glück zu erreichen, ist eine Klärung von Fragen des Berufsverständnisses und der persönlichen Leitziele unverzichtbar. Berufliche Identität im Bereich der Instrumental- und Vokalpädagogik ist keineswegs einfach gegeben, sondern eine vertrackte und nur indi­viduell zu lösende Aufgabe.“1 So hat es Ulrich Mahlert 2018 in dieser Zeitschrift formuliert – zusammen mit einigen grundlegenden Fragen für die Erarbeitung eines persönlichen beruflichen Selbstkonzepts. Wir haben vier Persönlichkeiten unterschiedlicher musikpädagogischer Institutionen gebeten, diese Fragen zu beantworten.

Ursula Brandstätter

Wie sehe ich mein Wirken im Spannungsfeld von Führungs- und Organisationsaufgaben sowie von künstlerischer und pädagogischer Tätigkeit?
Das Spannungsfeld, das ich in meinem beruflichen Alltag erlebe, bewegt sich zwischen anderen Polen: Ich agiere vor allem im Spannungsfeld zwischen strategischen Aufgaben und operativen Aufgaben. Insgesamt sehe ich eine große Herausforderung darin, in der Vielfalt der Alltagsthemen den Blick auf die übergeordneten Themenstellungen – wie die generelle Weiterentwicklung und Profilierung der Universität – nicht zu verlieren. Das Führen einer so komplexen Institution wie einer Kunstuniversität erfordert besondere Kompetenzen in den Bereichen des Kommunizierens und des Entscheidens. Ich denke, dass meine pädagogische Qualifikation, die ich durch eine Ausbildung in Organisationsberatung erweitert habe, eine wichtige Grundlage für meine aktuelle Führungsaufgabe darstellt.

Worin liegt mein persönliches Glück als Leitungskraft?
Der Begriff „persönliches Glück“ ist für mich in beruflichen Kontexten nicht ganz passend. Natürlich gibt es „glückhafte“ Momente, etwa wenn wir als Privatuniversität den Reakkre­ditierungsbescheid bekommen, der unseren universitären Status bestätigt; wenn in einer Sitzung, in der es um den Ausgleich unterschiedlicher Interessen und Perspektiven geht, eine konsensuale Lösung entwickelt werden kann; oder wenn wir die Zusage für zusätzliche finanzielle Mittel für ein spezifisches Vorhaben erhalten. Wichtiger als diese momentanen Glücksgefühle ist für mich ein Grundgefühl der Gelassenheit und Zuversicht. Diese gewissermaßen den Alltag grundierenden Gefühle sind es, die mir die Kraft geben, die Hürden und Herausforderungen zu meistern.

Nancy Gibson

Wie bewahre ich mich vor Routine und Abstumpfung?
Eine gute Gewohnheit kann als Routine angesehen werden. Abstumpfung ist eine ganz andere Sache – ein trauriger Zustand. Um ein Gefühl des „Aussitzens bis zur Rente“ zu verhindern, achte ich auf Freundlichkeit – mit Sympathie jeden Menschen zu betrachten, dem ich an einem Tag begegne. Dann bin ich nicht so kaputt, sondern gehe mit einem leichten Gefühl am Ende eines Arbeitstags nach Hause.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwarten eine Menge von einer Musikschulleitung, und die diversen Anforderungen zu erfüllen, kann anstrengend sein. Aber im Ruhestand könnte man das Gefühl vermissen, aktiv zu sein, in der Gemeinde und Gesellschaft etwas zu bewirken, gebraucht und geschätzt zu werden. Jetzt – im Arbeitsleben voller Musik – ist die Zeit, sich zu beteiligen und am Ball zu bleiben.

Welche realistischen Ziele setze ich mir für meine berufliche Arbeit?
Meine beruflichen Ziele bestehen aus Projekten und Zielen, die ich für die lebendige, zukunftsrelevante Arbeit der Musikschule und für die kulturelle Entwicklung der Stadt Chemnitz für erforderlich halte. Ich glaube, dass realistische Ziele solche sind, die viele Menschen als wichtig für unsere Zeit und unseren Ort ansprechen. Zum Beispiel ist es im Moment einfach, jeden von der Wichtigkeit der Anschaffung von mehr und besseren digitalen Werkzeugen für die Musikschulen und des Erwerbs entsprechender Kompetenzen zu überzeugen. Früher wären wir mit diesem Thema nicht so schnell so weit gekommen. Manchmal muss man aber auch ein Thema erst wichtig machen – auch wenn der Zeitpunkt nicht ideal ist. Es ist die Aufgabe der Leiterin, frühzeitig zu erkennen, welche Strategien und Ziele für die gesunde Zukunft der Einrichtung notwendig sind, und hart daran zu arbeiten, die relevanten Partner von ihrer Position zu überzeugen.

Veronika Petzold

Wie sehe ich mein Wirken im Spannungsfeld von Führungs- und Organisationsaufgaben sowie von künstlerischer und pädagogischer Tätigkeit?
Das Aufgabenspektrum der Geschäftsstelle des Deutschen Chorverbandes (DCV) umfasst verschiedenste Tätigkeiten und Kompetenzen: Das Management großer Veranstaltungsprojekte, wie es die Deutschen Chorfeste, die chor.com oder die Carusos-Initia­tive für das frühkindliche Singen sind, steht ebenbürtig neben der klassischen Vereinsführung, Gremienarbeit, der Mitgliederbetreuung des Bundesverbands, seiner monatlichen Mitgliederzeitschrift Chorzeit – von der Redaktion bis zur Abonnentenverwaltung – oder der allgemeinen Verwaltung und dem technischen Officemanagement. Alle Aufgaben und Arbeitsbereiche greifen eng ineinander, bedingen sich gegenseitig und bestimmen die Arbeit der verschiedenen Abteilungen. Meine Aufgabe besteht maßgeblich darin, ständig den Wissensaustausch und die Prozessteuerung dazwischen sicherzustellen und synergetisch zu bündeln, um effizient zu sein. Das bedarf einer festen Struktur der Regelkommunikation und klarer Aufgabenzuordnung, um doppeltes oder paralleles Agieren zu vermeiden. Nur dann gelingt es, mit so einem kleinen Team alle Aufgaben zu bewältigen. Vor allem aber sind ein kollegialer Geist und kreatives Mitwirken jedes Einzelnen erfolgsrelevant.

Antje Valentin

Welche realistischen Ziele setze ich mir für meine berufliche Arbeit?
In meiner jetzigen Tätigkeit habe ich mir bereits zu Beginn größere Ziele gesetzt, wie beispielsweise die Einrichtung eines neuen Kunden- und Kursverwaltungssystems, das Erreichen einer Qualitätstestierung, eine Erweiterung der Gebäude der Akademie und die Präsenz der Akademie im ganzen Bundesland. Um diese Ziele zu erreichen, brach ich sie in einzelne Schritte herunter und nahm die Aufgabe an, sie auch im tagesaktuellen Geschehen nicht aus den Augen zu verlieren. Dieses Spannungsfeld zwischen täg­lichen Herausforderungen und der Arbeit in Hinblick auf größere Ziele würde ich als typisch für eine Leitungsfunktion bezeichnen. Man muss sich quasi ständig ermahnen, nicht im Alltäglichen unterzugehen, sondern auch das Ganze im Blick zu behalten – vom Konzeptionellen bis zum Finanziellen.

Wie kann ich diese Ziele methodisch planvoll erreichen?
Berufliche Ziele planvoll zu erreichen, beginnt mit der Klarheit über die Ziele. Ich habe erst nach einigen Jahren der Tätigkeit als Klavierlehrerin und Korrepetitorin festgestellt, dass ich noch andere berufliche Ziele als diese habe. Dann begann das Nachdenken, was ich konkret anderes tun möchte und wie ich dieses Ziel erreichen kann. Mir wurde bewusst, dass ich eine Leitungstätigkeit an einer Musikschule anstrebte. Daraufhin bewarb ich mich und bereitete mich soweit möglich strategisch darauf vor. Für mich umfasste dies das Lesen von Fachliteratur, den Besuch von entsprechenden Fortbildungen und die Befragung relevanter Personen in dem Bereich.

1 Ulrich Mahlert: „Was will ich für wen sein? Zum beruflichen Selbstkonzept von MusikschulleiterInnen“, in: üben & musizieren 4/2018, S. 6-11, hier: S. 11.

Weitere Fragen und Antworten in Ausgabe 4/2021.