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Schmidt, Martin

Alles im Blick

Zur Verwendung der Tabulatur im Gitarrenunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 26

Obwohl ein Großteil der Rock- und Popmusik nach Gehör komponiert wird, beginnt der Anfänger-Gitarren­unterricht oft noch unter der Prämis­se: „Zuerst muss du Noten lernen“. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die Jahrhunderte alte Tabula­turschreibweise und eine mit ihr ­einhergehende Orientierung am ­realen Entstehungsprozess von Rock- und Popmusik.

Leider auch heute noch gängige Praxis: Nach mehr oder minder spannenden Vorübungen mit Leersaiten beschäftigt sich der angehende Rock-Nachwuchs mit simplen Melodien im Rahmen der C-Dur-Tonleiter und braucht ein bis zwei Jahre, bevor sich das gespielte Material dem Klang der gehörten Lieblingsbands annähert. Und das nur, falls der Gitarrenlehrer oder die Gitarrenlehrerin nicht darauf besteht, Band 1 und 2 der von ihm oder ihr präferierten Gitarrenschule komplett durchzuarbeiten, bevor die Vorlieben des Schülers oder der Schülerin beachtet werden. Nicht gerade motivierend für Teenager…

Wie sieht die Tabulaturschreibweise aus?

Bei der Tabulaturschreibweise werden die zu spielenden Töne oder Akkorde nicht mit der klassischen Notenschrift dargestellt, sondern mithilfe einer instrumentenspezifischen Darstellung (NB 1).

Sechs Linien entsprechen den sechs Saiten der Gitarre. Die Töne werden mit Zahlen dargestellt, die den Bund angeben, auf dem der Ton gegriffen wird; sie werden auf der entsprechenden Linie/Saite platziert. Ein f, das auf der hohen E-Saite gegriffen werden soll, ist also eine 1 auf der obersten Linie. Leersaiten werden mit der Zahl 0 dargestellt. Bei Mehrklängen oder Akkorden werden die Zahlen übereinander geschrieben.
Spezielle Spieltechniken wie Hammer-On, Pull-Off, Bendings oder Slides können mit Symbolen dargestellt werden. Die Notenlänge und die daraus entstehende Rhythmik kann zwar in die Tabulatur integ­riert werden, wird aber in vielen Notenausgaben weggelassen. Durch eine Kombination von Notensystem und Tabulatur kann ein geübter Gitarrist die zu spielenden Töne inklusive Fingersatz aus der Tabulatur entnehmen und den Rhythmus aus der Notation. Auch offene Stimmungen lassen sich auf diese Weise gut darstellen.
Tabulatur ist keine neuzeitliche Erfindung, sondern wird bereits seit etwa 1300 verwendet – zuerst für die Orgel und ab ca. 1500 für die Laute und verwandte Saiteninstrumente. Gerade im Pop- und Rockbereich ist sie seit den späten 1980er Jahren eine äußerst beliebte Schreibweise.

Die Vorteile von Tabulatur

Der größte Vorteil der Tabulatur ist der direkte, bildliche Zugang zum Instrument. Statt ein System zu erlernen mit mehreren Parametern wie Notennamen, -linien, -länge und dieses auf die Gitarre zu übertragen, können auch AnfängerInnen nach kurzer Zeit (fünf bis zehn Minuten) die zu spielenden Töne erkennen und spielen. Da Töne auf der Gitarre im Gegensatz zum Klavier an mehreren Stellen gegriffen werden können, ist das Notenlesen zudem deutlich komplizierter. Ein zweigestrichenes e kann an vier bis fünf Stellen gespielt werden, gegriffen und als Leersaite (NB 2).

In der Tabulatur ist sofort klar, welche dieser Varianten gewünscht ist. Da die Tabulatur dem bildlichen Vorgang entspricht, der beim Gitarrenspielen stattfindet – man erkennt, welche Saite angeschlagen werden und wo der Finger der linken Hand greifen soll –, verstehen GitarrenanfängerInnen dieses Prinzip in der Regel sofort. Ein Anfängersong wie in Notenbeispiel 3 ist auf diese Weise sofort spielbar ohne Kenntnisse über Lagenwechsel, Fingersatz und Notennamen.

Spielt man die Melodie der Schülerin oder dem Schüler vor oder hört einen Play-along-Track dazu, wird auch der Rhythmus schnell klar und gemeinsames Musizieren mit einem musikalisch ansprechenden Ergebnis ist schon nach kurzer Zeit möglich. Das motiviert ungemein und entspricht zudem dem autodidaktischen Vorgehen, das AnfängerInnen natürlicherweise an den Tag legen: Spielen auf einer Saite und Verschieben eines Fingers, um den Ton zu verändern, anstelle des Spielens in der ersten Lage, wie man es aus der klassischen Gitarrenschule kennt.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2021.