Widmaier, Martin

Sonne, Mond und Sterne

20 Lieder im Tages- und Jahreskreis für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: www.martinwidmaier.de
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 61

Die kostenlos im Netz erhältliche Sammlung vereinigt 20 teils sehr, teils weniger bekannte Lieder einschließlich des schon aus anderen Kontexten heraus bekannten Federvieh-Raps des Verfassers. Der Schwierigkeitsgrad der Stücke erstreckt sich von sehr leicht bis etwas schwieriger. Wie schon bei vielen anderen Veröffentlichungen Martin Widmaiers ist die Kombination von kompositorischer Raffinesse, Witz und pianistischem Instinkt auf der einen Seite und konsequenter Struktur und präzisem methodischen Bewusstsein auf der anderen Seite überaus gelungen.
Auffällig ist zunächst, dass viele der Stücke als Lückentexte notiert sind. Immer dann, wenn es in einer Hand oder in beiden Wiederholungen gibt, werden diese nicht ausgeschrieben, sondern müssen von den Spielern und Spielerinnen selbstständig ergänzt werden. Man muss die Musik dann also entweder im Kopf behalten oder beim Spiel nach Noten mit den Augen hin und her wandern – beides ist eine sehr gute Schulung des Verständnisses für die Form der Stücke. Zu den Liedsätzen gibt es dann jeweils mehrere, teils vorbereitende, teils weiterführende Zusatzaufgaben:
– Eine „Trittleiter“ – die Folge von ein bis zwei Dreitonmotiven (meist links, manchmal mit beiden Händen oder mit der rechten) – soll die jeweilige Tonart erschließen. Die Motive beziehen sich auf do-re-mi-Folgen, wie sie schon aus dem Kleinen Land, der Klavierschule Widmaiers, bekannt sind.
– Ein sogenanntes „Klingstück“ greift jeweils einzelne Elemente aus dem dazugehörigen Liedsatz auf und lässt sie sequenzartig und in verschiedenen Tonarten als Übung praktizieren.
– Weiterhin gibt es sogenannte „Singstücke“, die aus melodischen Fragmenten der Liedsätze bestehen und nach Vorschlag des Verfassers auf neutrale Silben oder Solmisationssilben, wiederum möglichst auch in verschiedenen Tonarten, gesungen werden sollen.
– Ganz besonders hervorgehoben werden müssen die sogenannten „Schattenrisse“. In ihnen bezieht sich Martin Widmaier auf die „Dispositionen“ von August Halm (in dessen Klavierübung) bzw. die von Ulrike Wohlwender so bezeichneten „Skizzen“, also Gerüstsätze, die dabei helfen, die Figurationen in den Endfassungen zu verstehen. Dieser Teil ist hervorragend geeignet, grundlegendes musika­lisches Verständnis, Analyse­fähigkeiten für Formen des Klaviersatzes sowie Ideen für kluge Übestrategien zu entwickeln.
Die Liedsätze sind häufig polyfon (sehr schön: der Kanon Bruder Jakob, der durch Liegetöne in beiden Händen einen sehr üppigen, warmen Klang bekommt). Beide Hände sind ausgiebig beteiligt, müssen sich mal die Melodie teilen, mal keck übergreifen, mal muss eine von beiden ein ordentliches Gezwitscher zu allen Vögeln, die schon da sind, produzieren. Und Happy birthday mit „Tusch“ oder „Luftschlangen“ wird ganz bestimmt den Ehrgeiz der Ausführenden wecken.
Linde Großmann