Heye, Andreas

Eat, sleep, practice

Musikalisch besonders begabte Jugendliche zwischen Regelschule und Frühstudium

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 52

Wer schon als Jugendlicher parallel zur Regelschule an einer Musikhoch­schule studieren darf, genießt nicht nur ein besonderes Privileg, sondern ist mit einer Reihe von unterschied­lichen Herausforderungen konfrontiert. Diese ergeben sich aus den Leistungsanforderungen seitens der Schule und dem Frühstudium sowie den (Leistungs-)Erwartungen der Eltern bzw. Schul- und Instrumental­lehrenden. Befunde aus einer Inter­viewstudie zur Belastungssituation von musikalisch besonders begabten Jugendlichen zeigen verschiedene Herausforderungen, die im Zusam­menhang mit der Vereinbarkeit von Regelschule und Frühstudium stehen.

Lea und David studieren parallel zur Regelschule an einer Musikhochschule im zweiten Semester. Die Anforderungen der dualen Ausbildungssituation erleben die beiden Jugendlichen aber sehr unterschiedlich. Lea besucht die 8. Klasse eines Gymnasiums. Ihre schulischen Leistungen liegen ihrer Aus­sage nach im Notenbereich „gut“ bis „sehr gut“ und die Schulanforderungen belasten sie nicht sonderlich. Sie beschreibt sich als Lerntyp mit schneller Auffassungsgabe. Für Klausuren lernt sie nur einen Tag vorher. Zugleich studiert sie Bratsche an einem Institut für musikalische Frühförderung. Sie empfindet das Frühstudium als sehr bereichernd, weil sie dort eine für sie optimale musikalische Förderung und Unterstützung erfährt.
Auch David absolviert ein Frühstudium am selben Institut im Fach Klavier. Im Gegensatz zu Lea berichtet der Neuntklässler von erheblichen Leistungsproblemen in der Schule. Seine schlechten Noten bringt er mit seinen hohen Fehlzeiten in Verbindung. Anstatt den Schulunterricht zu besuchen, über er Klavier. Für David zählt nur das Musikstudium, denn sein Ziel ist eine Berufskarriere als Pianist. Die Regelschule erlebt er als Hindernis für sein Berufsziel. Nebenfächer wie Sport vermeidet er, um ein mögliches Verletzungsrisiko der Hände zu minimieren. Hausaufgaben macht er, wenn überhaupt, in den Pausen zwischen seinen Übe­phasen. Für das Instrumentalüben verbringt David bis zu sechs Stunden pro Tag allein an seinem Instrument.1
Diese zwei Fallbeispiele flankieren die beiden Extrempositionen in Bezug auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Schule und Frühstudium, die Gegenstand der Interviewstudie mit insgesamt 22 Jungstudierenden im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren war. Bei den TeilnehmerInnen handelt es sich um zwölf weibliche sowie zehn männliche Jugendliche, die als Hauptfach ein Orchesterinstrument studieren (z. B. Geige, Cello, Querflöte oder Horn), Klavier bzw. Orgel oder klassischen Gesang. Neben dem regelmäßigen Hauptfachunterricht an der Musikhochschule be­inhaltet das Frühstudium auch Unterricht in weiteren Fächern wie Gehörbildung, Musiktheorie oder Kammermusik. Das Studium erfolgt parallel zur Regelschule und die Seminarangebote finden während der Semesterzeit in einem zweiwöchigen Rhythmus an den Wochenenden statt (in der Regel mit Beginn bereits am Freitagnachmittag).

Vielfältige Herausforderungen

Besondere Herausforderungen in der dualen Ausbildungssituation betreffen vor allem zeitliche Anforderungen, die unmittelbar mit den obligatorischen Terminen und Verpflichtungen aus Regelschule und Frühstudium in Verbindung stehen. Diese ergeben sich zwangsläufig, weil Schul- und Ferienzeiten nicht mit der Vorlesungszeit bzw. vorlesungsfreien Zeit korrespondieren. Darüber hinaus berichten die Jugendlichen von wiederkehrenden Problemen und Konflikten mit zentralen Bezugspersonen: Einerseits mit Schul- und Instrumentallehrkräften, wenn keine konstruktiven Lösungen im Umgang mit Terminüberschneidungen oder Unterrichtsbefreiungen z. B. für Konzertreisen gefunden werden können, andererseits mit Gleichaltrigen aus dem Schulkontext, die kein Verständnis für ihr Frühstudium, ihre Leidenschaft für klassische Musik oder ihre Leistungsbereitschaft für das tägliche Instrumentalüben haben und sie deswegen meiden oder sogar ausgrenzen. Somit verwundert es nicht, dass die Jugendlichen die größte Herausforderung nicht darin sehen, die Schule und das Frühstudium zu verbinden, sondern Freundschaften neben der zeitlich intensiven dualen Ausbildungssituation aufrechtzuerhalten.

1 vgl. Andreas Heye: Mehrfachbelastungen in der Ausbildung musikalisch besonders begabter Jugendlicher, Münster 2019.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2021.