Bugiel, Lukas

Musikalische Bildung als Transformationsprozess

Zur Grundlegung einer Theorie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: transcript, Bielefeld 2021
erschienen in: üben & musizieren 5/2021 , Seite 60

Lukas Bugiel geht in seiner Dissertationsschrift von der von Rainer Kokemohr, Winfried Marotzki und Hans Christof Koller ausgearbeiteten Theorie transformatorischer Bildungsprozesse aus. Bildung wird als eine Wandlung des Verhältnisses eines Subjekts zu sich selbst und zu seiner Welt verstanden. Dieser Prozess erfolge allerdings nicht – wie beispielsweise bei Wilhelm von Humboldt – aus eigenem Antrieb, sondern werde von „Krisenerfahrungen“ ausgelöst.
Aus musikpädagogischer Perspektive erinnert der Begriff der „Krisenerfahrung“ an jene „Ästhetischen Erfahrungen“, die uns, frei nach Wolfgang Schulz, „aus dem Anzug unserer Ver­arbeitungsschablonen stoßen“. Und so sucht auch Bugiel im musikpädagogischen Diskurs nach Auslösern für transformatorische musikalische Bildungsprozesse. Der Autor richtet den Fokus zunächst auf solche Modelle, die von einem imaginativen bzw. kontemplativen ästhetischen Wahrnehmungsmodus ausgehen, der musikalisch bildende Erfahrungsprozesse herausfordere. Da allerdings unklar sei, wie man in diesen Modus gelange, bleibe der Auslöser von musikalischen Bildungsprozessen offen.
Bugiel wendet sich dann den von Jürgen Vogt beschriebenen „musikalisch-akustischen Schlüsselereignissen“ zu. Darunter seien unvorhersehbare, nicht planbare Begegnungen mit etwas Neuem, Unbekanntem und einer „kreativen Antwort“ darauf zu verstehen. Erst nach erfolgter Antwort könne von einem Bildungsprozess gesprochen werden; das bedeutet freilich, dass Auslöser und Bildungsprozess selbst immer erst rückblickend als solche erkannt werden können.
Nach Überlegungen zum Begriff des „musikalischen Wissens“ schließt er mit einem Plädoyer für eine empirische musikpädagogische Biografieforschung – gemäß der Auffassung, dass erst der (Rück-)Blick auf lebensgeschichtliche Zusammenhänge musikalische Bildungsprozesse samt deren Auslöser sichtbar mache, ist dies konsequent.
Dass Schlüsselereignisse prinzipiell nicht planbar seien, entlässt MusikpädagogInnen in eine gewisse Ratlosigkeit (dem ist sich Bugiel freilich bewusst und sieht hier einen Ansatzpunkt für weitere Forschung). Auch bleibt nach der Lektüre eine Spannung zurück zwischen der großen Bedeutung von eher singulären Schlüsselereignissen einerseits und den – bestimmt nicht immer, aber doch immer wieder –förderlichen Auswirkungen kontinuierlichen Übens bzw. Unterrichtens auf musikalische Bildungsprozesse andererseits.
Diese Hinweise schmälern die Faszination, die von der Studie ausgeht, keineswegs: Bugiel beeindruckt mit klarer Sprache, die dem philosophischen Anspruch immer gerecht wird, und vor allem mit einer großen Souveränität, mit der er sich durch verschiedene Diskurse der Erziehungswissenschaft und Musikpädagogik bewegt und diese miteinander verbindet.
Matthias Goebel