Herbst, Sebastian

Ganztagsförderungsgesetz: Musikschule ab 2026

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 1/2022 , Seite 39

Nach dem neuen Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter, dem Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) vom 2. Oktober 2021, sollen ab August 2026 zunächst alle Kinder der 1. Klasse Anspruch auf ganztägige Förderung in einer Tageseinrichtung haben. Ab dem Schuljahr 2029/30 sollen durch jährliche Ausweitung um jeweils eine Jahrgangsstufe schließlich alle Grundschulkinder diesen Anspruch haben. Mit Beginn der 5. Klasse sieht das Gesetz vor, dass ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten ist.
Praktisch bedeutet das, dass spätestens ab dem Schuljahr 2029/30 alle Grundschülerinnen und -schüler an den Werktagen Anspruch auf acht Stunden Förderung in einer Tageseinrichtung haben. Hierzu gehören die Unterrichtszeit sowie sich anschließende Angebote der (offenen) Ganztagsschulen. Dies gilt auch in den Ferien, ausgenommen ist lediglich ein Zeitraum von maximal vier Wochen in den Schulferien. Zur Umsetzung des Ziels setzt der Bund 3,5 Milliarden Euro für Investitionen in ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote ein, wenn sich die Länder mit mindestens 30 Prozent am Gesamtvolumen beteiligen. Zusätzlich unterstützt der Bund die Länder bei der Finanzierung der laufenden Betriebskosten.
Was kann aus diesen Mitteln konkret gefördert werden? Trägerneutral werden Finanzhilfen des Bundes für „zusätzliche investive Maßnahmen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zum quantitativen oder qualitativen Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote [gewährt]. Förderfähig sind Investitionen für den Neubau, den Umbau, die Erweiterung, die Ausstattung sowie die Sanierung der kommunalen Bildungsinfrastruktur, die der Bildung und Betreuung von Kindern im Grundschulalter dienen, soweit dadurch Bildungs- und Betreuungsplätze oder räumliche Kapazitäten geschaffen oder erhalten werden, um eine zeitgemäße Ganztagsbetreuung zu ermöglichen“ (SGB VIII, §3). Es dürften also auch Möglichkeiten für Musikschulen bestehen.
Auffällig ist aber, dass bereits hier der Betreuungsbegriff immer gemeinsam mit dem Bildungsbegriff auftaucht. Interessant ist zudem das meist alleinige Auftreten des Betreuungsbegriffs in Internetberichten zum Gesetz, wie in einem Artikel vom 14. September 2021 zum Gesetzentwurf auf der Webseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dort wird von einem „Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder“ gesprochen. Und während in diesem Artikel mit wenigen Sätzen auf die Verbesserung von Teilhabechancen verwiesen wird, steht doch deutlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Zentrum: „eine Betreuung außerhalb der Schulzeit ermöglicht nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Von einem verlässlichen ganztägigen Betreuungssystem profitieren auch die Grundschulkinder.“ Das Ziel einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ohne Zweifel wichtig. Im Sinne der Formulierung des Gesetzes als Ganztagsförderungsgesetz sollte jedoch gar nicht infrage gestellt werden können, ob die Grundschulkinder profitieren. Im Gesetz heißt es doch sehr deutlich, dass das Kind den Anspruch auf Förderung hat.
Damit wir es also nicht nur mit einem Gesetz zu tun haben, das mit einem schön formulierten Namen zwar die Förderung von Kindern suggeriert, letztlich aber in erster Linie das Ziel verfolgt, dass auf Grundschulkinder während der arbeitsbedingten Abwesenheit der Erziehungsberechtigten in einem geschützten Raum aufgepasst wird, sind alle Bildungspartner gefragt, das Potenzial des Gesetzes für die Förderung der Kinder zu erkennen und die finanziellen Mittel in sinnvolle Angebote zu überführen.
Musikschulen sind hier in besonderer Weise gefragt, da sich der Anteil der GrundschülerInnen, die bis in den Nachmittag hinein in der Schule sein werden, erhöht und sich dadurch der Zeitraum für den Besuch der Musikschule verkürzt. Daher besteht Handlungs- und Gestaltungsbedarf, der Mut erfordert, die Musikschule und ihre Angebote weiterzuentwickeln und zum Teil neu oder anders zu denken: Wie können Kooperationen innerhalb und außerhalb des Unterrichts der Grundschule gestärkt und ausgebaut werden? Wie können räumliche Kapazitäten mit entsprechender Ausstattung in Grundschulen geschaffen werden, innerhalb derer die Musikschule aktiv werden kann? Welche Angebote lassen sich in welcher Form und mit welchem Ziel in bestehende oder noch entstehende Betreuungsangebote sinnvoll integrieren? Und ließe sich nicht auch die Musikschule im Sinne eines Musizierlernhauses als Partnerin mit einem entsprechenden Betreuungsangebot denken? Gleich zu Beginn dieses Jahres sollten wir damit beginnen, Fragen wie diese und andere zu klären, mit anderen Bildungspartnern ins Gespräch zu kommen und gemeinsam sinnvolle Angebote zu entwickeln.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2022.