Mahlert, Ulrich

„…den Schulmusiker mit dem Privatmusiklehrer zusammenzubringen“

Hans Mersmanns Impulse für eine Ausweitung der Arbeit von ­Privatmusiklehrenden

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2022 , Seite 46

In seiner 1931 erschienenen Schrift Das Musikseminar1 entwarf der Musikwissenschaftler und -pädagoge Hans Mersmann (1891-1971) das Konzept einer vielseitigen Ausbildung von Musiklehrkräften für die musikpädagogische Arbeit außerhalb der allgemeinbildenden Schulen. Mersmanns Modell steht der „Ordnung für Musikseminare“2 nahe, die 1930 in Preußen als Teil der Bestimmungen zum Privatmusikunterricht in Kraft trat. Die Schrift Das Musikseminar differenziert und konkretisiert die in der staatlichen Ordnung in knapper Form vorgegebenen Grundlagen. Sie schafft eine enge Verbindung zwischen den einzelnen Fächern und stellt die gemeinschaftliche Arbeit der Seminaristen in den Mittelpunkt. Diese Konzeption nennt Mersmann „musikalischen Gesamtunterricht“.3
Die zitierten Passagen stammen aus dem vorletzten Kapitel, das die Überschrift „Ausbildung und Beruf“ trägt. Hier verdeutlicht Mersmann die beruflichen Perspektiven der in den vorangehenden Kapiteln beschriebenen breiten Ausbildung. Er umreißt ein weites Aufgabenfeld, das den Kernbereich von Privatmusiklehrkräften, das „Stundengeben“ auf dem Hauptinstrument, relativiert und auf eine vielfältige kommunale Bildungs- und Kulturarbeit ausweitet.
Die Ausweitung nimmt viel vom Selbstverständnis öffentlicher Musikschulen in neuerer Zeit vorweg. Die im Musikseminar ausgebildeten Lehrkräfte sollen sich für die Mit­gestaltung des kommunalen Musiklebens verantwortlich fühlen. Sie sollen neue gesellschaftliche Aufgaben aufnehmen und mit ihrer Arbeit eingehen auf „Menschen, die auf Anregungen warten, die hungrig nach Neuem sind“. In dem artikulierten Vorbehalt gegen die „alten, vereinsmäßigen Formen der Musikpflege“, die Mersmann als „erstarrt“ betrachtet, steckt eine kritische bis ablehnende Haltung gegenüber zeitgenössischen Formaten des traditionellen bürgerlichen Musikbetriebs (Konzerte, Liederkränze, reaktionäre Chorvereine usw.). Mersmann teilt diese Haltung mit der damaligen Jugendmusikbewegung, die musikpädagogisch in die Breite wirken wollte und nach neuen gemeinschaftlichen Musikpraxen suchte.

1 Mersmann, Hans: Das Musikseminar (= Musikpädagogische Bibliothek, hg. von Leo Kestenberg, Heft 11), Leipzig 1931. Die zitierten Textauszügen finden sich auf den Seiten 85-87.
2 Kestenberg, Leo/Buhrow, Georg (Hg.): Der Privatunterricht in der Musik (Ausbildung – Prüfungen – Erlaubnisschein – Aufsicht). Amtliche Bestimmungen, Berlin 1925, 5., erweiterte Auflage (Stand vom 1. April 1932), Berlin 1932. Die am 10. April 1930 erlassene „Ordnung für Musikseminare“ findet sich in „Anlage II. Ausführungsanweisungen zu den Allgemeinen Bestimmungen über die Erlaubnis zur Erteilung von Privatunterricht in der Musik. Vom 2. Mai 1925“, ebd. (5. Aufl.), S. 62-64. Sie „bildet mit dem vorgeschlagenen Unterrichtsplan eine geeignete pädagogische Grundlage für alle staatlich anerkannten privaten und städtischen Musikseminare“ (S. 62). Die umfangreichen „Verordnungen zum Privatunterricht in der Musik“ finden sich auch in: Kestenberg, Leo: Dokumente zur Reform des Preußischen Musikwesens. Amtliche Bestimmungen und Erlasse, hg. von Wilfried Gruhn (= Leo Kestenberg: Gesammelte Schriften Bd. 4), Freiburg 2013, S. 133-191.
3 ausführlich zu Mersmanns Ausführungen über „Gesamtunterricht“: Ulrich Mahlert: „,Musikalischer Gesamtunterricht‘. Hans Mersmanns Konzeption eines Musikseminars“, in: Berg, Ivo/Hoffmann, Freia (Hg.): Das Lehren lernen. Instrumentalpädagogik auf dem Weg ins 20. Jahrhundert, Mainz 2022 (in Vorbereitung).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2022.