© Daniel Sadrowski

de Bánffy-Hall, Alicia

Kulturelle Demokratie

Elemente und Arbeitsformen in der Community Music

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2022 , Seite 06

Wie sehen pädagogische und musikalische Arbeitsformen der Community Music aus? Welche Annahmen liegen ihnen zugrunde? Wie wird in der Community Music gearbeitet – mit welchem Musikbegriff und mit welchen Communities?

Für das englische Wort Community gibt es mehrere mögliche Übersetzungen ins Deutsche: unter anderem Gemeinschaft, Gruppe, Gemeinde, Gemeinwesen. Ein Grund für die Beibehaltung des englischen Begriffs liegt darin, dass keine der deutschen Übersetzungen alle Aspekte des englischen Begriffs umfassen.1 Zudem gab es bis vor einigen Jahren keinen parallelen deutschen musikpädagogischen Diskurs, der dem der Community Music entsprochen hätte.
In der Community Music können sich Communities aufgrund sozialer Gruppen, geografischer Verortung (physisch oder online), gemeinsamen Interessensgebieten, geteilten Problemen oder Zielen bilden. Eine wichtige Frage am Beginn eines Community-Music-Projekts ist: Bilden die Mitmachenden schon eine Gruppe (auf Basis der oben genannten Gemeinsamkeiten) oder sollen sie (wie es oft im Rahmen interventionistischer Projekte angestrebt wird) noch eine werden? Und wer will, dass sie eine werden? Kommt die Initiative von der Community selbst oder ist es eine Intervention von außerhalb? Im Community-Music-Projekt der Kindertageszentren der Landeshauptstadt München geht es beispielsweise darum, im öffentlichen Raum (also etwa auf Spielplätzen oder in Parks) Menschen, die in einer Nachbarschaft leben, aber sonst nichts miteinander zu tun haben, durch gemeinsames Musikmachen zusammenzubringen.2 Beabsichtigt ist also, durch die Intervention des Community-Music-Projekts eine Community zu schaffen, wo vorher keine war. Einmal die Woche wird in acht Kindertageszentren in ganz München Musik gemacht, meist vernetzen sich Organisationen, die in einer Nachbarschaft arbeiten, miteinander, um dadurch die Anwohnenden der Gegend und die NutzerInnen der Sozialangebote zusammenzubringen und Synergien zwischen den Organisationen zu schaffen.
In der Community Music wird jede Musikform als Ausdruck von Menschen als gleichwertig gesehen. Abgeleitet von dem Grundprinzip der kulturellen Demokratie3 basiert Community Music auf dem Recht aller Menschen, sich in Musik auszudrücken. Community Musicians stellen deshalb existierende Strukturen, die musikalische Inhalte prägen, in Frage. Man beschäftigt sich mit Fragen wie: Wer entscheidet, welche und wessen Musik gespielt und gehört wird? Wer hat die Macht zu entscheiden? Wer sitzt mit am Tisch und wer fehlt? Wer wird nicht gehört? Wer hat Zugang zu Räumen, Ressourcen und Machtstrukturen und wie spiegeln diese sich in den musikalischen Inhalten wider? Welche Ins­trumente und Musikformen werden an unseren Musikschulen und Schulen unterrichtet und welche nicht? Inwiefern reflektieren die Angebote der kulturellen und bildenden Ins­titutionen und die dort geteilten Inhalte die Communities, in denen gearbeitet wird? Wie kann sich die Gesellschaft in den Inhalten und Angeboten unserer kulturellen Institutionen und der musikpädagogischen Arbeit zeigen? Was bedeutet das Community-Music-Prinzip der kulturellen Demokratie bezüglich der Inhalte für den Musikunterricht?
Dieses Hinterfragen ist für viele, die in hiesigen Musikhochschulen geprägt wurden, nicht leicht. Peter Röbke schreibt im Anschluss an den Musikethnologen Bruno Nettl: „Zudem ist, wenn es um die Bereitschaft zu einer radikalen Anerkennung aller musikalischen Ausdrucksformen geht, in Rechnung zu stellen, dass Musikstudierende aus einem System kommen, das nicht nur hinsichtlich künstlerischer und spieltechnischer Kompetenzen selektiv ist, sondern auch um einen Wertekanon kreist, um jene vermeintlich überzeitlichen, idealen und somit ‚klassischen‘ Hervorbringungen großer Musik […] und der Konsequenz für eine musikalische Praxis, die dann ‚Service of the Masters‘ zu sein hat.“4
In der Community Music geht es nicht nur um Musik als Mittel für alle möglichen gesellschaftlichen oder sozialen Zwecke. Community Music ist keine Therapie. Community Music will beides: Lernen durch Musik und Lernen in der Musik. Es ist nicht egal, wie es klingt!5 Aber: „The musician is always more important than the music!“6

1 vgl. de Bánffy-Hall, Alicia: The development of community music in Munich, Münster 2019.
2 vgl. www.tz.de/muenchen/stadt/hallo-muenchen/ muenchen-musik-projekt-generationen-bewohner-programm-gewofag-reinmarplatz-gern-91642769.html (Stand: 12.7.2022).
3 Kulturelle Demokratie basiert auf dem Grundsatz, dass alle Menschen das Recht und die Fähigkeiten zur freien und gleichberech­tigten Teilnahme am kulturellen Leben der Gemeinschaft haben, der Freude an der Kunst, dem Schaffen und Veröffentlichen eigener künstlerischer Arbeit. „Cultural democracy is the right and capability to participate fully, freely and equally in the cultural life of the community, to enjoy the arts and create, publish and distribute artistic work“: Matarasso, François: A restless art. How participation won, and why it matters, Calouste Gulbenkian Foundation, Lissabon/London 2019, S. 77; https://arestlessart.files.wordpress.com/2019/03/2019-a-restless-art.pdf (Stand: 25.7.2022). Bei Community Music geht es um mehr als um den reinen Zugang zu Musik oder das reine Vermitteln musikalischer Inhalte. Es ist wichtig, das Ideal der kulturellen Demokratie von der Demokratisierung von Kultur zu unterscheiden – Letztere findet zum Beispiel durch kostenlosen Eintritt in Museen und Konzerte oder durch das Unterrichten eines gewissen Kanons statt. Sie hat die Vermittlung von (von bestimmten Autoritäten oder Institutionen ausgewählten) kulturellen Inhalten im Fokus.
4 Röbke, Peter: „Zwischen universalistischer Fantasie und handfester Zuschreibung: Musikpädagogische Ini­tiativen angesichts von Flucht und Migration“, in: Berg, Ivo I./Lindmaier, Hannah/Röbke, Peter: Vorzeichenwechsel. Gesellschaftspolitische Dimensionen von Musikpädagogik heute, Münster 2020, S. 129-142, hier: S. 134.
5 vgl. Grosse, Thomas: „Egal, wie es klingt. ,Community Music‘ ist Kultursozialarbeit“, in: VAN – Online-Magazin für klassische Musik, 18.5.2016; https://van-magazin.de/mag/thomas-grosse (Stand: 25.7.2022).
6 Lee Wilingham in persönlichen Gesprächen mit der Autorin, 2020.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2022.