Popovic, Dijana

„Der Junge spielt ­Trompete!“

Über den Einfluss von Ge­schlecht und Genderstereotypen auf die Musikinstrumentenwahl

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: epOs-Music, Osnabrück 2022
erschienen in: üben & musizieren 3/2023 , Seite 58

Musiktheoretiker und Pädagogen waren sich im 18. Jahrhundert einig: Für Frauen waren nur Klavier, Harfe, Gitarre und Laute „schicklich“; bei anderen Instrumenten mussten Musikerinnen lange um Zustimmung kämpfen. Das Thema „Geschlecht und Ins­trumentenwahl“ hat eine fast 300-jährige Geschichte, die detailliert aufgearbeitet ist, u. a. im Online-Lexikon Europäische Ins­trumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts.
Merkwürdigerweise hat Dijana Popovic in ihrer Masterarbeit die historische Dimension des Themas ausgeklammert und sich darauf beschränkt, einschlägige empirische Untersuchungen (seit 1976) zu referieren. Es wird aufgezeigt, welche Gesichtspunkte die Instrumentenwahl von Kindern jeweils beeinflusst haben, abhängig vom Genre (Klassik, Jazz, World Music), von Familie, Peers, Schule, Rollenvorbildern, Medien. Manche Fragestellungen zementieren Stereotype allerdings, wenn beispielsweise Studierende gefragt wurden: „Welches Musikinstrument empfinden Sie als das männlichste“? (Abeles/Porter 1978). Das Ergebnis ist – wie zu erwarten – ein „Männlich-Weiblich-Kontinuum“, mit Schlagzeug und Posaune am linken und Geige und Querflöte am rechten Ende. Schade, dass die Autorin offenbar die einschlägige Dissertation von Martina Oster (Hildesheim 2011) nicht kennt, eine qualitative Untersuchung von „Orientierungsmustern von Grundschulkindern“.
Im Kapitel „Geschlechterstereotype aufbrechen“ werden empirische Ergebnisse aufgelistet, die Einflussmöglichkeiten zeigen: die Präsentation „atypischer“ MusikerInnen, Ensembles „ausschließlich weiblich oder männlich zu besetzen“, ein „bewusster Geschlechterwechsel der Ins­trumentalist*innen, deren Instru­mente geschlechtlich stark konnotiert sind“.
Neues – und Erfreuliches – bietet das abschließende Kapitel zur „Instrumentenwahl in Österreich“. Die Autorin hat hierzu Statistiken der Konferenz der ös­terreichischen Musikschulwerke und Daten zu Studierenden der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst (mdw) ausgewertet. An den Musikschulen überwiegen die Schülerinnen nicht nur bei Blockflöte, Flöte, Harfe, Zither, Gitarre und Klavier, sondern auch bei Oboe, Violine, Klarinette, Cello, Viola, Fagott, Saxofon und Orgel. Beim Horn ist das Verhältnis 1214:1718 (w/m), beim Kontrabass 342:505, bei der Trompete 1885:6058, bei der Posaune 527:2001 und bei den Schlaginstrumenten 1252:10.051.
An der mdw sah die Verteilung im Studienjahr 2019/20 ähnlich aus: Studentinnen stellten die Mehrheit bei Holzblas- und Streichinstrumenten; anders ist es bei Saxofon (15:24), Trompete (10:42), Posaune (4:27) und Schlaginstrumenten (7:30). Erklärungsversuche zu diesem Befund fehlen. Fazit: Auch empirische Arbeiten brauchen eine historische Einordnung, bis hin zu den jüngsten Entwicklungen. Wie wäre es mit dem Einfluss der Frauenbewegung?
Freia Hoffmann