Erfahrungsraum von LehrerIn und SchülerIn mit Musik

Busch, Barbara / Barbara Metzger

Treffpunkt Unterricht

Didaktische Analyse als Hilfe zur Selbsthilfe für Lehrende und ­Lernende

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2023 , Seite 10

Welchen Mehrwert hat es, wenn Schülerinnen und Schüler erfahren, was sich hinter dem Begriff der Didaktischen Analyse verbirgt? Und weiter: Wieso sollen sich Lehrende der Instrumental- und Vokalpädagogik mit Didaktischer Analyse auseinandersetzen? Beide Fragen lassen sich schnell beantworten. Die Idee der Didaktischen Analyse stellt sowohl für Lehrende als auch für Lernende eine Hilfe zur Selbsthilfe dar. Mehr noch: Wir stellen die „steile These“ auf, dass Didaktische Analyse für die Lehren­den als Burnout-Prophylaxe dient und für die Lernenden Motivationsstimulus ist.

Die Leitfrage der Didaktischen Analyse, wie sie im Folgenden verstanden wird, lautet: Wer soll was warum lernen? Anders gefragt: Warum soll sich ein bestimmter Schüler bzw. eine bestimmte Schülerin mit einem bestimmten Inhalt auseinandersetzen?
Zum einen kann sich die Begründung eines Unterrichtsinhalts aus der Musik bzw. dem Musizieren selbst ergeben. Geht es beispielsweise um das metrisch stimmige Musizieren des 6/8-Takts, dann bilden die Kenntnis dieser Taktart sowie das Gespür dafür den Unterrichtsinhalt. Zum anderen kann sich die Begründung des Inhalts aus der persönlichen Relevanz für die Lernenden ergeben. Wenn beispielsweise eine Saxofon-Schülerin in einem Ensemble mitspielt, so ist ihr metrisch-rhythmisch stimmiges Spiel notwendig, damit sie sich sicher in das Zusammenspiel einbringen kann und sich somit ihrerseits wohlfühlt.
Die Verbindung dieser beiden Perspektiven von Musik bzw. Musizieren mit der persön­lichen Relevanz für die Lernenden ist das Merkmal der Didaktischen Analyse. Es werden also Inhalte ermittelt, die gleichermaßen für die Sache Musik wie für die Musizierenden selbst bedeutsam sind. Wird im Unterricht an einer Komposition gearbeitet, so geht es nie nur um dieses eine Stück, sondern immer auch um die Übertragbarkeit von Fertigkeiten und Erkenntnissen, die rund um dieses Stück erworben wurden und nun auf andere Werke angewendet werden können. Wird die Chance des Transfers auch von den Lernenden erkannt, dann gewinnen sie an Selbstständigkeit im Üben und Spielen, was sich wiederum günstig auf ihre Motivation auswirken mag. Dies gilt auch für die Lehrperson: Der Musik begegnet sie immer wieder neu, weil sie sie unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der Lernenden betrachtet. Somit kann einem stereotypen Unterricht vorgebeugt werden, was wiede­rum ein günstiger Selbstschutz ist, um beruflich nicht auszubrennen.

Klafkis Modell der Didaktischen Analyse

Hilfe zur Selbsthilfe, Motivationsstimulus und Burnout-Prophylaxe – dies waren nicht die Ziele, die der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki in den Blick nahm, als er 1958 das Modell der Didaktischen Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung veröffentlichte. Sein Hauptaugenmerk galt der Unterrichtsplanung und dem Bildungsgehalt von Unterrichtsthemen. Seine grundlegenden Über­legungen zur Didaktischen Analyse können „als erste Modellbildung zur Planung von Unterricht in der modernen didaktischen Diskussion angesehen werden“.1 In diesem Kontext leistete Klafki einen zentralen Beitrag zum Verständnis des Bildungsbegriffs. Ausgehend von seiner Kritik an der „materialen“ Bildung, die einseitig auf die Vermittlung von Inhalten ausgerichtet ist, sowie an der „formalen“ Bildung, die einseitig auf den Erwerb von Fertigkeiten fokussiert ist, formuliert er den Begriff der „kategorialen“ Bildung. Diese ist auf Grundkategorien des Weltverstehens ausgerichtet und bildet zugleich einen spezifischen Zugang zum Lernen. Hier bedeutet Lernen, grundlegende, exemplarische Erkenntnisse selbstständig zu erwerben.2 Vor diesem Hintergrund werden in der Didaktischen Analyse Bildungsinhalte dahingehend geprüft, „ob sie Grundkategorien, Urphänomene, Grundprinzipien, Gesetze, Methoden, Haltungen erschließen“.3

Was erfahre ich beim Spiel und bei der Betrachtung des Stücks über mich? Was fordert es von mir?

Die Kerngedanken der Didaktischen Analyse nach Wolfgang Klafki wurden bereits 1997 von Peter Röbke für die Instrumentalpädagogik adaptiert. Röbke fragt, inwiefern es gelingen kann, an einem Musikstück „umfassende und berührende Erfahrungen“4 zu machen. Er postuliert, dass Didaktische Analyse „mehr eine Analyse der Beziehungen von Musik und Menschen als eine Sachanalyse“5 ist. Dabei gilt es, „eine eigentümliche Spaltung“6 zu überwinden, die entsteht, wenn ein Stück gespielt oder über dieses nachgedacht wird: Werden beim Spielen „in der Regel persönlich bedeutsame, emotional berührende und sinnlich eingängige Einsichten“7 gewonnen, so werden beim rein kognitiven Durchdringen einer Komposition eher werkanalytische Informationen ermittelt, die – so Röbke – weder die innere Vorstellung des Stücks beeinflussen noch den Musizierenden fundamental berühren oder gar verändern.8 Vor diesem Hintergrund formuliert Röbke in Anlehnung an Christoph Richter sechs Leitfragen, um mit „analytischer Phantasie“9 eine Komposition für den Unterricht auszuwählen und aufzubereiten.

1 Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik, München 1994, S. 126.
2 Einsiedler, Wolfgang: „Grundlegende Bildung“, in: Einsiedler, Wolfgang/Götz, Margarete/Hartinger, Andreas u. a. (Hg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik, Bad Heilbrunn 42014, S. 225-233, hier: S 227.
3 ebd.
4 vgl. Röbke, Peter: „Didaktisches Denken im Instrumentalunterricht“, in: Mahlert, Ulrich (Hg.): Spielen und Unterrichten. Grundlage der Instrumentaldidaktik, Mainz 1997, S. 29-60, hier: S. 39.
5 ebd., S. 40.
6 ebd., S. 41.
7 ebd.
8 ebd.
9 ebd.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2023.