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Bauchrowitz, Frank

Gravierende Folgen

Scheinselbstständige Honorarkräfte an Musikschulen – Risiken und Nebenwirkungen, Teil 2

Rubrik: Recht & Versicherung
erschienen in: üben & musizieren 5/2023 , Seite 38

Nachdem im ersten Teil dieses Beitrags darauf eingegangen wurde, was Scheinselbstständigkeit genau ist, in welchen Fällen die Thematik für Musikschulen und deren Lehrkräfte Bedeutung erlangt und welche sozialrechtlichen Folgen Scheinselbstständigkeit hat, wird hier beschrieben, was in arbeits- und steuerrechtlicher Hinsicht zu beachten ist.

Allein mit der Behebung der sozialrechtlichen Probleme, die die Feststellung des nicht zutreffenden Status einer vermeintlichen Honorarkraft mit sich bringen, ist die Problematik der Scheinselbstständigkeit keineswegs vom Tisch. Zu beachten sind ebenfalls arbeitsrechtliche und eventuell auch steuerrechtliche Aspekte.

Arbeitnehmerstatus aus arbeitsrechtlicher Sicht

Die Beurteilung durch Arbeitsgerichte, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, findet unabhängig von der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung statt. Die Abgrenzung erfolgt dabei einzelfallbezogen zum einen nach dem Inhalt und zum anderen nach der Durchführung des Vertrags. Weichen Inhalt und tatsächliche Durchführung voneinander ab, ist allein die Vertragspraxis entscheidend.1
Die Definition des Arbeitsverhältnisses im § 611a BGB stellt als dessen Hauptmerkmal im Wesentlichen auf die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers ab. Umgekehrt ist demnach das Hauptmerkmal der Honorarkraft die Unabhängigkeit von den Weisungen des Auftraggebers. Zu beurteilen ist diese, ähnlich wie bei den sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen, durch die Freiheit der Lehrkraft in der Ausübung ihrer Tätigkeit bzw. die Eingliederung in den Musikschulbetrieb.
Als Faustregel kann man sich an Folgendem orientieren: Je mehr Einschränkungen und Vorgaben eine Lehrkraft in der Ausübung ihrer Tätigkeit durch den Arbeitgeber erfährt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie weisungsabhängig und demnach als Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin einzustufen ist. Die Beurteilung erfolgt im Rahmen einer Gesamtschau. Ein vom Verfasser häufig angetroffenes Problem besteht darin, dass Musikschulen ihren Honorarkräften gern ein pauschales Monatshonorar pro Wochenunterrichtsstunde zahlen möchten. Was aus sozialer Sicht begrüßenswert ist, ist juristisch problematisch: Typisch für eine Honorarkraft wäre, dass sie eine Honorarzahlung lediglich für tatsächlich erbrachte Leistungen erhält. Das sogenannte „Durchbezahlen“ führt hingegen dazu, dass unter Umständen auch Feier- und Ferientage bezahlt werden, obwohl die Lehrkraft an diesen Tagen eventuell gar nicht unterrichtet hat. Dies wäre arbeitnehmertypisch und spräche daher für ein Arbeitsverhältnis. Gleiches gilt analog, wenn einer Honorarkraft eine Bezahlung auch für den Krankheitsfall zugesagt wird.2

Folgen der Feststellung des Arbeitnehmerstatus

Die Feststellung des Arbeitnehmerstatus hat zur Folge, dass der Lehrkraft sämtliche Arbeitnehmerrechte zustehen. Betroffen sind insbesondere die Bereiche Vergütung, Urlaub und Entgeltfortzahlung. Darüber hinaus sind aber auch betriebliche Auswirkungen (z. B. Betriebsrat und Kündigungsschutzgesetz) möglich. Zu beachten ist, dass für die Zeit vor der Aufdeckung der Scheinselbstständigkeit bestimmte Ausschlussfristen und Verfallvorschriften gelten können.

Vergütung
Honorarkräfte erhalten in der Regel eine Vergütung, die unter der Bezahlung einer angestellten Lehrkraft liegt. Es steht daher die Frage im Raum, inwieweit Lehrkräfte bei aufgedeckter Scheinselbstständigkeit einen Anspruch auf Nachzahlung einer Vergütung haben. Nach § 612 Abs. 2 BGB hat der Arbeitnehmer für seine vergangenen Tätigkeiten einen Anspruch auf „die übliche Vergütung“. Hat die Lehrkraft also in der Vergangenheit weniger als die übliche Vergütung erhalten, so kann sie grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung der Differenz geltend machen. Dieser Anspruch verjährt innerhalb von drei Jahren. Die Verjährung beginnt nach § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Arbeitnehmer von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.
Sollte hingegen der wohl seltene Fall vorliegen, dass die Honorarkraft in der Vergangenheit eine höhere als die übliche Ver­gütung erhalten hat, so ist sie gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zur Rückzahlung der Überzahlung an die Musikschule verpflichtet.

Urlaub
Einem Arbeitnehmer bzw. einer Arbeitnehmerin steht, im Gegensatz zur Honorarkraft, Urlaub gemäß § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) zu. Er verfällt normalerweise, wenn er vom Arbeitnehmer nicht innerhalb einer bestimmten Zeit genommen wurde, § 7 BUrlG. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings 2017 festgestellt, dass Scheinselbstständige ihren Urlaubsanspruch zeitlich unbegrenzt ansammeln, dieser also nicht verfällt.3 Der Urlaubsanspruch pro Jahr beträgt 24 Werktage, § 3 Abs. 1 BUrlG.
Wann der Urlaub genommen wird, kann der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin grundsätzlich frei wählen. Allerdings sieht § 7 BUrlG Einschränkungen vor. Die Musikschule wird demnach mit der Lehrkraft in der Praxis eine Absprache dazu treffen müssen, in welcher Form der eventuell umfangreiche Urlaubsanspruch umgesetzt wird.

1 Bundesarbeitsgericht-Urteil vom11.08.2015 (Az: 9 AZR 851/16).
2 Lösen ließe sich das Problem zum Teil durch die Einrechnung von Urlaubs- und Krankheitstagen in die Honorarhöhe.
3 Europäischer Gerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2017 (C-214/16).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2023.