Heiss, Isabelle Sophie

Klang-Räume

Ein Spiel zur Entwicklung der Klangvorstellung

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Seite 32

Mit dem Klang-Raum-Spiel können die Elemente Improvisation, (Zu-)Hö­ren, (klingende) Musiktheorie und Emotion von Beginn an miteinander kombiniert werden. Damit macht das Spiel viele Lernfelder erfahrbar, die für das individuelle und das gemeinsame Musizieren grundlegend sind. So können „Innenleben und Musik […] in Kontakt kommen“ für ein „beseeltes Musizieren“.1

Musikalische Ausdrucksfähigkeit bedarf der Fähigkeit des (inneren) (Zu-)Hörens2 und der Kommunikationsfähigkeit sowie technischer Fertigkeiten. In vielen musikpädagogischen Konzeptionen wird zur Erlangung einer Klangvorstellung ein sprachanaloges Lernen angestrebt. Dafür wird versucht, eine musikalische Umgebung zu schaffen, explorativ sowie ohne Noten (dafür aber mit dem Gehör) zu lernen. Oftmals wird relative Solmisation3 eingesetzt und Singen dem instrumentalen Musizieren vorangestellt.4 Wichtig für das ausdrucksvolle Musizieren ist aber auch die Verknüpfung mit einem breiten emotionalen Spektrum, das es zunächst zu erkunden gilt, um musikalisch kommunizieren zu können.5
Im Klang-Raum-Spiel wird deshalb die relative Solmisation mit Emotionen verknüpft. Die improvisatorischen Elemente verbinden das innere Hören mit dem Neu-Schaffen improvisierter und interpretierter Musik.6 In Anlehnung an das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit7 lenken die Mitspielenden selbstbestimmt und bedürfnisorientiert8 ihren Fokus auf die verschiedenen Lernfelder.
Das Klang-Raum-Spiel eignet sich aufgrund der individuell wählbaren Inhalte für den musikalischen Anfangsunterricht ebenso wie für die Arbeit mit Fortgeschrittenen. Es ist ge­eignet für SängerInnen, InstrumentalistInnen und gemischte Musiziergruppen und unabhängig von der Unterrichtsform (Einzelunterricht, Gruppenunterricht, Ensemble, Chor, musikalische Früherziehung) einsetzbar.

Vorbereitung

Grundlage des Spiels bilden die Tonstufen einer beliebig gewählten Tonart, die mit Ziffern symbolisiert werden (1 = Grundton, 5 = Quinte etc.). Dafür eignen sich bedruckte DIN-A4-Blätter, die auf dem Boden ausgelegt werden können. Neben den Karten (= Blättern) mit Tonstufen gibt es weitere Karten mit Aktionsfeldern (Ohr = Zuhören, Improvisationskarte), die je nach gewähltem Inhalt vorbereitet und ergänzt werden können. Im Raum werden nun leere Felder in einer Sternstruktur bzw. in einem gedachten Kreis mit Seilen oder Kreppband markiert, in die im Laufe des Spiels die Karten gelegt werden. Alternativ können auch die Ecken eines Raums verwendet werden.

Tonhöhen-Felder

Die Lehrperson legt die erste Karte mit der Ziffer „1“ in ein Feld und singt bzw. spielt dazu den Grundton. Alle Lernenden folgen der Lehrperson (räumlich) und imitieren den vorgegebenen Ton. Wenn sich dieser gefestigt hat, geht die Lehrperson in das nächste Feld, singt oder spielt z. B. die Quinte und legt in diesem Fall die Karte mit der Ziffer „5“ auf den Boden. Wenn sich auch dieser Ton etabliert hat, kann wieder zum Grundton-Feld mit der „1“ gewechselt werden.

1 Röbke, Peter/Figdor, Helmuth: Das Musizieren und die Gefühle. Instrumentalpädagogik und Psychoanalyse im Dialog, Mainz 2008, S. 149.
2 vgl. Hakim, Anja-Maria: „Instrumentalunterricht ohne Noten?! Hintergründe und Praxistipps zum Musizierenlernen nach Gehör“, in: üben & musizieren, 6, 2022, S. 8-11; Lessing, Wolfgang: „,Hör dir doch mal zu!‘ Freie Improvisation über einen musikpädagogischen Standard“, in: üben & musizieren, 5, 2015, S. 12-16.
3 So auch Edwin Gordon in seiner Music Learning Theory. Dieser prägte den Begriff Audiation, womit „eine Kompetenz, die zur Musik im gleichen Verhältnis steht wie das Denken für das Sprechen“ gemeint ist und neben dem Denken auch „den Aspekt des Verstehens“ umfasst (Lessing, Wolfgang: „Entwicklungspsychologische Theorieansätze im Überblick“, in: Busch, Barbara (Hg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik. Ein Wegweiser für Studium und Beruf, Wiesbaden 2016, S. 83-120, hier: S. 113); vgl. auch: Gruhn, Wilfried: „Audiation – Grundlage und Bedingung musikalischen Lernens“, in: Gruhn, Wilfried/Röbke, Peter (Hg.): Musiklernen. Bedingungen – Handlungsfelder – Positionen, Innsbruck 2018, S. 94-109.
4 vgl. Naumann, Sigrid: „Vom Singen zum Klavierspiel. Eine Skizze für die erste Zeit am Klavier“, in: üben & musizieren, 4, 2018, S. 32-35.
5 vgl. Mantel, Gerhard: Interpretation. Vom Text zum Klang, Mainz 2007, hier: Kapitel Ausdruck und Kommunikation.
6 vgl. Gruhn.
7 vgl. Mantel, Gerhard: Einfach üben. 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten, Mainz 2001, S. 24 f.
8 vgl. Hayward, Klara: „,Lass es mich selbst wollen!‘ Selbstbestimmung im Sinne von Mündigkeit als anzustrebende Motivationsquelle“, in: üben & musizieren, 3, 2022, S. 12-16.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2023.