Spiekermann, Reinhild

Voller Überraschungen

Hochschule für Musik Detmold: Das Studienprogramm „Gemeinsam musizieren!“

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Online-Beitrag 03

Inzwischen ist es ein vertrautes Bild, dass erwachsene Amateure mit ihren Instrumentenkoffern durch die Detmolder Hochschule gehen, um zu ihren Musiziergruppen zu gelangen. Eine Musikhochschule, die sich einer bestimmten Gesellschaftsgruppe – ambitionierten, erwachsenen MusikliebhaberInnen – öffnet, beschreitet einen spannenden Weg, nicht immer störungsfrei, aber immer voller Überraschungen.

Unter dem Dach von L³Musik, dem im Herbst 2019 gegründeten Zentrum für Lebenslanges Lernen in der Musik, konzipierte der Studienbereich Instrumental- und Gesangspädagogik das Studienprogramm „Gemeinsam musizieren!“, in dem Amateure der Region Ostwestfalen-Lippe in sehr unterschiedlichen Settings gemeinsam mit Studierenden der Hochschule musizieren. Um daran teilzunehmen, ist kein bestimmtes Niveau auf dem Instrument notwendig, jedoch steht die Aufnahme unter dem Vorbehalt von sinnvollen Gruppenzusammenstellungen. Das Angebot ist altersoffen, oft befinden sich die Mitwirkenden jedoch im Ruhestand. Die Amateure dürfen bei ihrer Bewerbung Repertoirewünsche angeben, die sich auf Duobesetzungen beziehen (das eigene Hauptinstrument mit einer Klavierbegleitung), Literatur für kleinere Besetzungen vorschlagen (z. B. Trio, Quartett) und auch Wünsche äußern für eine größere Besetzung. Anhand eines Selbsteinschätzungsbogens, der in Anlehnung an das Verfahren zur Aufnahme bei der internationalen Kammermusikorganisation „Associated Chamber Music Players“ entwickelt wurde, kann eine erste Gruppenzusammenstellung erfolgen.[1] Auch ist dieser Bogen hilfreich, um einzuschätzen, ob die gewünschten Werke vollständig, in Auszügen oder ersetzt durch ein Alternativwerk gespielt werden können. Der hinzuzufügende Lebenslauf ergänzt die Bewerbung der Amateure.
Vom Status her sind die musikinteressierten Personen GasthörerInnen, was neben einer verwaltungstechnischen Verankerung weitere Vorteile bringt. So können sie reduzierte Konzertkarten bei kostenpflichtigen Angeboten der Hochschule erwerben, sie dürfen die Hochschulbibliothek vollumfänglich frei nutzen, es gibt eine reduzierte PKW-Parkkarte. Bei Einverständnis der Lehrenden ist zusätzlich eine Teilnahme an ausgewählten Seminaren der Musik- oder Bildungswissenschaft möglich. Im Programm können nach Absprache Hospitationen im Hauptfachunterricht organisiert werden. Derzeit gibt es keine Wiederholmöglichkeit der Maßnahme, um neuen Interessierten eine Teilnahme zu ermöglichen. In Einzelfällen erfolgten jedoch weitere Immatrikulationen als GasthörerInnen für Musikwissenschaft oder sogar Instrumentalpädagogik. Nach Absprache musizieren ehemalige Teilnehmende nach Abschluss ihres Durchlaufs auch im Studioorchester der Hochschule mit; allen wird angeboten, das „große“ Projektensemble weiterhin zu besuchen, welches somit kontinuierlich wächst. Auch werden Einzelne immer wieder als Gäste eingeladen, wenn in einer kammermusikalischen Besetzung bestimmte Instrumente benötigt werden.
Ende Januar 2022 konnte unter den bisherigen Teilnehmenden eine Umfrage zu verschiedenen Aspekten des Instrumentallernens durchgeführt werden, um ergänzende Informationen für „Gemeinsam musizieren!“ zu gewinnen. Die Rückläufe sorgten für einen überraschenden Input. Deutlich formulierten mehrere Amateure den Wunsch nach einem ergänzenden Theorieangebot. Durch eine Kooperation mit der Fachschaft Theorie/Gehörbildung konnte ab dem Wintersemester 2022/23 ein ergänzender Theorieunterricht für alle bisherigen Teilnehmenden eingerichtet werden, der von Studierenden des Bachelorstudiengangs Musiktheorie/Gehörbildung erteilt und als Studienleistung angerechnet wird.
Im Dezember 2022 wurde das Format eines „Play-In“ erstmalig erprobt.[2] Alle Studierenden der Klavierpädagogik bildeten einen Chor, andere Studierende wurden gebeten, sofern möglich, ihre Zweit- oder Drittinstrumente einzubringen. Studierende des Wahlfachs Ensembleleitung können mit den Gruppen von „Gemeinsam musizieren!“ ihre Dirigierkenntnisse praxisnah vertiefen. Auch Experimente mit Besetzungen bzw. dem Notenmaterial sind willkommen. Erworbene Kompetenzen aus Arrangement-Seminaren werden so unmittelbar angewendet.
Das Ziel der Begegnung im Musizieren wird erweitert um die Erfahrung eines gemeinsamen Vortrags im Rahmen regelmäßiger Abschlusskonzerte. Für die Studierenden ist das Projekt ein erstes Eintauchen in die vielfältigen Möglichkeiten ihrer späteren Berufstätigkeit.

[1] Die internationale Kammermusikorganisation „Associated Chamber Music Players“ beschreibt im Rahmen ihres komplexen Aufnahmeverfahrens verschiedene Spiellevels und Zielvorstellungen für das Musizieren, abrufbar auf der aktualisierten Webseite unter https://acmp.net/acmp-guide-playing-levels (Stand: 14.8.2023).
[2] Der Grundgedanke war, dass den Amateuren ein möglichst großer, spontan gebildeter Klangkörper geboten wird. Die Noten wurden kurz vorher verteilt, sodass bei Bedarf noch etwas geübt oder auch vom Blatt gespielt werden konnte. Eine Vermischung von Ausführenden und Publikum war erwünscht, sodass sich eine Art „klingende Weihnachtsfeier“ ergab.