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Waloschek, Maria Anna

„Dankeschön, 1,7!“

Prüfungen als Lernchance begreifen und gestalten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2024 , Seite 06

Prüfungen durchziehen nicht nur den Alltag von Studierenden an Musik­hochschulen, sondern sind auch fest in Musikschulen verankert, z. B. in Form von Konzerten, Wettbewerben, frei­willigen Leistungsprüfungen oder Tests in Instrumental- und Gesangs­lehrwerken. Grund genug, sich immer wieder neu mit dem (Un-)Sinn und einer lernförderlichen Ausgestaltung von Prüfungen auseinanderzusetzen.

„Erst muss man hart büffeln, dann kommt eine Stresssituation und am Ende hat man ’ne Zahl bekommen.“1 Wenn Sie an Prüfungen denken, was kommt Ihnen zuerst in den Sinn? Ist dieser Begriff für Sie eher positiv oder negativ konnotiert? Blicke ich auf meine Prüfungsvergangenheit zurück, so kommen zum Großteil angespannte, oftmals wenig weiterführende und teilweise auch entmutigende Situationen in mir hoch. Dennoch oder gerade deshalb möchte ich mich zu Beginn dieses Beitrags als entschiedene Verfechterin für Prüfungen outen. Ich bin ein Fan von Prüfungen als Bestandteil von Lernprozessen – vorausgesetzt, diese werden mit einer konstruktiven Haltung transparent gestaltet, wofür ich einen Leitfaden skizzieren möchte.

Was bedeutet „prüfen“?

Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir von „prüfen“ reden? Etymologisch entstammt das Verb dem mittelhochdeutschen prüeven bzw. brüeven und offenbart vielfältige Bedeutungen, darunter „nachdenken, erwägen, beweisen, wahrnehmen, berechnen, anstiften, bewirken“.2 Im Duden findet sich folgende aktuelle Definition: „durch entsprechende Aufgabenstellung oder Fragen jemandes Kenntnisse, Fähigkeiten, Leistungen auf einem bestimmten Gebiet festzustellen suchen“.3 Auch wenn dem Wort „suchen“ eine gewisse Mühe innewohnt, so beschreibt es gleichermaßen einen durchdachten, zielgerichteten Prozess, der darauf ausgelegt ist, verborgene oder nicht sofort ersichtliche Dinge zu entdecken.
„Prüfen“ wird hier im Sinne von Leistungsfeststellung beschrieben. Obgleich diese Ausrichtung des Begriffs für die Kontexte Musik(hoch)schule zutreffend ist, ist in der Beschäftigung mit dem Thema gerade ein Blick in das Messwesen als zweite Bedeutungsausrichtung interessant. Nach DIN 1319 (Deutsches Institut für Normierung) bedeutet „Prüfen“ „das Feststellen, inwiefern ein Prüfobjekt eine Forderung erfüllt. Wird nur mit den menschlichen Sinnen – ohne Hilfsmittel – geprüft, spricht man vom subjektiven Prüfen. Die Prüfergebnisse sind nur schlecht miteinander vergleichbar. Werden Hilfsmittel – sogenannte Prüfmittel – verwendet, so spricht man vom objektiven Prüfen.“4 Prüfen an Musik(hoch)schulen kann ohne Zweifel der Kategorie „Bewertung durch menschliche Sinne“ zugeordnet werden.

Wozu prüfen?

In seiner Arbeitshilfe Qualität durch Motiva­tion hält der Verband deutscher Musikschulen (VdM) fest, dass im Sinne einer Qualitätssicherung und zur Steigerung und Aufrechterhaltung von Motivation „die regelmäßige Feststellung des Fortschritts ein wichtiger Bestandteil des pädagogischen Prozesses sein muss“.5 Im VdM-Lehrplan Klavier wird ergänzt, dass dies auch mit Blick auf den Anspruch der Eltern auf eine fachkundige und differenzierte Beratung von Belang sei.6 Der VdM geht in seinen Ausführungen zu Leistungsanreizen und Leistungskontrollen auf unterschiedliche Funktionen von Prüfungen ein, die hier jedoch in einer grundlegenden, fachunabhängigen Kategorisierung von Gerd Macke et al. weiter gefasst werden sollen (siehe Tabelle 1).7

Wenn Sie an Prüfungen ­denken, was kommt Ihnen zuerst in den Sinn? Ist dieser Begriff für Sie eher positiv oder negativ konnotiert?

Mit Blick auf die aufgeführten gesellschaft­lichen Funktionen von Prüfungen ist zu erörtern, inwiefern diese für Musik(hoch)schulen tatsächlich von Belang sind. Zwar spielen Legitimations- und Kontrollfunktionen für die Institutionen in ihren jeweiligen politisch-­gesellschaftlichen Kontexten durchaus eine Rolle. Prognose-, Auslese- und Rekrutierungsfunktionen können jedoch insofern in Frage ge­stellt werden, als dass Abschluss­noten und Zeugnisse von AbgängerInnen von Musik­(hoch)­schulen in der Regel für ein anknüpfendes Studium oder Berufsfeld nicht die entscheidende Bewertungsgrundlage zu sein scheinen: MusikschulschülerInnen müssen sich an Musikhochschulen oder in Jugend­or­chestern erneut Aufnahmeprüfungen unterziehen, StudienabsolventInnen werden mit Probespielen, Vorspiel- oder Vorunterrichtsverfahren an Musikschulen erneut geprüft.8

1 Interviewmaterial aus: Waloschek, Maria Anna: „Kompetenzorientiertes Prüfen und Bewerten im europäischen, hochschuldidaktischen Diskurs: Potenziale und Grenzen für die Ausgestaltung künstlerischer Hauptfachprüfungen im Kontext Musikhochschulen“, Masterarbeit in Vorbereitung, Hochschule für Musik und Tanz Köln, 2024.
2 siehe Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, www.dwds.de/wb/Prüfung (Stand: 5.12.2023).
3 siehe Duden online, www.duden.de/rechtschreibung/pruefen (Stand: 5.12.2023).
4 vgl. Deutsches Institut für Normung (Hg.): Grundlagen der Messtechnik – Grundbegriffe, DIN 1319 Teil 1, Berlin 1995; Wikipedia: „Prüfen im Messwesen“, https://de.wikipedia.org/wiki/Prüfen (Stand: 5.12.2023).
5 Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Qualität durch Motivation. Leistungsanreize. Leistungsüberprüfung, Bonn 2004, S. 5.
6 Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Lehrplan Klavier, Kassel 2010, S. 10.
7 nach Macke, Gerd/Hanke, Ulrike/Viehmann-Schweizer, Pauline/Raether, Wulf: Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten, Weinheim 32016, S. 141 f.
8 Das Fach Lehramt Musik stellt hier insofern eine ­Ausnahme dar, als dass mit Erhalt des zweiten Staats­examens für einen Stellenantritt keine weiteren Lehrproben bzw. erneuten Prüfungen durchgeführt werden müssen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2024.