Elsner, Felix / Barbara Stiller

Zukunftslabor Musikhochschule

Aufnahmeprüfungen neu denken angesichts der ­Herausforderungen von morgen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2024 , Seite 18

Davon ausgehend, dass die Zukunft der Bildung, die Zukunft der hochschulischen Bildung und die Zukunft der Arbeitswelt eng miteinander verbunden sind, stellt sich drängender denn je die Frage, wie die Arbeit oder der Arbeitsmarkt der Zukunft für professionelle Musikerinnen und Musiker aussehen wird. Was sind die neuen oder sich wandelnden Fähig­keiten und Anforderungen der Zukunft und welche Entwicklungen und Herausforderungen sehen die ­deutschen Musikhochschulen diesbezüglich auf sich zukommen?

Künstlerische Hochschulen, insbesondere solche, in denen sich mehrere Künste unter einem Dach befinden, gelten traditionell in besonderem Maße als Think-Tanks, in denen neben l’Art pour l’Art richtungsweisende Impulse für gesellschaftliche Fragestellungen entstehen können. Die künstlerisch-pädagogischen Studiengänge nehmen dabei ob ihrer Nähe zu Kunst, Bildung, Kultur und Gesellschaft eine besondere Rolle ein. Bei insgesamt abnehmenden Studierendenzahlen – trotz enormen Fachkräftemangels für Unterrichtstätigkeiten an Musikschulen, Schulen, Kitas etc. – stellt sich einmal mehr die Frage, was es heißt, ein attraktives künstlerisch-pädagogisches Studium für die Welt von morgen nachfrageorientiert zu konzipieren. Welche Lehr-/Lernarrangements, künstlerischen Auseinandersetzungen, Werkzeuge und Methoden bilden dabei als kreative Ressourcen die Schlüsselkompetenzen oder, wie die OECD sie als so genannte 21st-Century-Skills1 benennt, die Transformationskompetenzen für eine berufliche Zukunft als Instrumental- oder GesangspädagogIn, die – trotz finanzieller Grenzen – zum Ziel hat, in hohem Maße von Zufriedenheit geprägt zu sein?

Herausforderungen von morgen

Um eine Antwort darauf zu finden, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, welche überfachlichen Fähigkeiten neben dem ohnehin hohen Maß an künstlerischen Qualifikationen zukünftig in noch ausgeprägterer Form als heute erforderlich sind. Welche sind es allgemein und welche sind es, wenn zukünftig verstärkt Aspekte wie Barrierefreiheit, Inklusion, Technologieentwicklung, Ökologie, Gesundheit etc. selbstverständlich mitgedacht werden? Weiter nachgefragt: In welcher Form sollten respektive müssten diese zunehmend in den Fokus rückenden Anforderungen bereits in der Aufnahmeprüfung Berücksichtigung finden?
Wenn es wirklich so wäre, dass gänzlich neue Kompetenzen ins Interesse der Auswahlkommissionen geraten, welche gelten dann als überholt, auf welche kann folglich ersatzlos verzichtet werden? Schlussendlich ließe sich präzise formulieren: In der Auf­nahmeprüfung für ein zukunftsorientiertes künstlerisch-pädagogisches Studium wird mehr denn je nach kreativen Menschen mit besonderen künstlerischen Begabungen, mit einem ausgeprägten Gestaltungswillen, mit Spielfreude und in besonderem Maße mit fantasiebildenden Ressourcen gesucht, die auch zukünftig kein Algorithmus und keine KI werden ersetzen können.
Konkret stellt sich die Frage, welche künstlerischen, musikalischen, pädagogischen und allgemein kommunikativen Potenziale die BewerberInnen erkennen lassen sollten, um für ein „Zukunftslabor Musikhochschule“ passgenau im Sinne aller Beteiligten, die dort miteinander lernen, lehren, arbeiten und forschen, aufgestellt zu sein.

Es geht einmal mehr um die Frage, was es heißt, ein attraktives künstlerisch-pädagogisches Studium für die Welt von morgen nachfrageorientiert zu konzipieren.

Folgende Anforderungen mögen als erste Antworten auf zukünftig stärker zu beachtende Ressourcen dienen:
– Besondere künstlerische Fähigkeiten machen ein Studium an einer künstlerischen Hochschule aus. Ob diese traditionell allein auf ein Instrument gelenkt sein müssen oder zukünftig auch auf mehrere verteilt sein könnten, böte Anlass für eine Experimentierklausel.
– Kommunikations- und Interaktionsverhalten, Selbstorganisation sowie die Fähigkeit zur Kollaboration werden zukünftig mehr denn je von Bedeutung sein, und dies sowohl in realen als auch in virtuellen Räumen sowie in präsenten, hybriden und vollkommen selbstgesteuerten Lehr-/Lernszenarien.
– Improvisationsvermögen, spontanes Gestalten, Spiel- und Experimentierfreude: Diese Anforderungen klingen selbstverständlich, sind jedoch erfahrungsgemäß gerade Musikstudierenden im Laufe ihrer vorhochschulischen Entwicklung oft weitgehend abhanden gekommen.
– Sprachkompetenzen, Debattiererfahrung und insbesondere Freude daran, in verschiedenen Sprachen miteinander gleichermaßen kreativ wie argumentativ agieren zu können – diese Eigenschaften werden als Ressource zunehmend zentral.
– Wissenschaftliches Lesen und Schreiben werden insbesondere in künstlerisch-pädagogischen Studiengängen zu mehr als nur einem Werkzeug, um situative Sachverhalte gemeinsam analysieren und neue musikpädagogische Konzepte kollaborativ entwerfen zu können. Mehr denn je gefragt sind dafür Fähigkeiten zur Empathie, zur Problemlösung und zum kritischen Denken.
– Der Umgang mit neuen Technologien ist für viele selbstverständlich. Das erforderliche Know-how sollte über simple Anwendungsszenarien hinaus auch ein Interesse für künstlerische Auseinandersetzungen damit erkennen lassen.2
Gegen solche und ähnliche Anforderungs­kataloge wird auch in der Vergangenheit niemand etwas einzuwenden gehabt haben. Sind es dann womöglich gar nicht die besonderen Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber, die in Frage gestellt werden müssen? Geht es womöglich vielmehr um spezifische Prüfungsformate, die dringend einer Überarbeitung bedürfen, um den zukünftig erforderlichen Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen präziser auf die Spur zu kommen?

Aufnahmeprüfungen als Begegnungen

In den meisten künstlerisch-pädagogischen Studiengängen wurden mit der Umstellung auf Bachelor-Master-Studiengänge Mitte der 2000er- bis 2010er-Jahre Modifikationen an den Aufnahmeprüfungsanforderungen vorgenommen. Viele rein künstlerische Studiengänge hingegen weisen an zahlreichen deutschen Musikhochschulen nach wie vor Anforderungskataloge auf, die identisch sind mit jenen, mit denen die Autorin und der Autor dieses Textes vor nunmehr bald 35 Jahren selbst konfrontiert waren. Sofern sich in den künstlerisch-pädagogischen Studiengängen alle einig sind, dass es zukünftig mehr denn je um die Gewinnung junger Menschen mit vielfältigen kreativen Ressourcen geht, wie können dann die Prüfungen selbst so vielfältig und kreativ gestaltet sein, dass sie z. B. von der ersten Minute an echte Spielfreude erkennen lassen, dass Empathie spürbar und kollaboratives Agieren zum künstlerisch-pädagogischen Werkzeug wird?

1 OECD Lernkompass 2030. OECD-Projekt Future of Education and Skills 2030: Rahmenkonzept des Lernens, 2019, S. 18, www.oecd.org/education/2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf (Stand: 21.02.2024).
2 Die Liste enthält allgemeine Aufzählungen und unterscheidet weder nach Bachelor und Master noch nach Instrumenten und/oder Gesang und auch nicht nach einzelnen Studienrichtungen zwischen Instrumental- und Gesangspädagogik, Elementarer Musikpädagogik, Jazz, Musiktheorie u. a. Binnendifferenzierungen sind für detaillierte Analysen unerlässlich, für eine erste Beschäftigung mit der Thematik sei an dieser Stelle jedoch damit argumentiert, dass die allgemeinen künstlerisch-pädagogischen Aufnahmeprüfungsteile an der Hochschule für Künste Bremen nicht nach Studienrichtungen getrennt sind und oftmals bewusst in gemischten Gruppen abgenommen werden.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2024.