Reinagle, Alexander

24 kleine und leichte Spielstücke

Für den ersten Unterricht am Klavier op. 1

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , Seite 53

Alexander Reinagle emigrierte 1786 als 30-Jähriger in die USA, wo er in Philadelphia und später in Baltimore große Erfolge als Klavierpädagoge, Opernkomponist und Theaterintendant hatte. Er war begeisterter Anhänger von Carl Philipp Emanuel Bach, den er zwei Jahre vor seiner Emig­ration in Hamburg kennen gelernt hatte und mit dem er anschließend eine Zeit lang korrespondierte.
Bereits um 1780, noch im schottischen Glasgow, wo Reinagle seit 1778 als Cembalolehrer wirkte, war sein Opus 1 erschienen, die 24 Short and Easy Pieces, eine Sammlung instruktiver Stücke in ansteigender Schwierigkeit, die Reinagle auch in seinen amerikanischen Unterrichtsjahren noch gern eingesetzt haben soll.
Die hier in einer neuen Ausgabe vorgelegten, meist in zweiteiliger Form verfassten Miniaturen weisen ihren Schöpfer als äußerst umsichtig agierenden Pädagogen aus. Stehen die ersten Menuette noch zweistimmig im schlichten, unveränderten C-Dur-Fünftonraum beider Hände, so werden nach und nach, fast unmerklich, die Anforderungen gesteigert: Ab Nr. 5 hat man es mit zwei verschiedenen Fünftonräumen zu tun (Tonika bzw. Dominante), Nr. 6 verlangt eine erste leichte Abspreizung des Daumens, Nr. 8 führt Doppelgriffe in der linken Hand ein, Nr. 10 öffnet das melodische Geschehen bis zum Oktav- bzw. Nonenraum, Nr. 11 bis 14 stehen in G-Dur und verlangen die melodische Oktavspannung. Mit den Nummern 15 bis 19 wird die Tonart D-Dur eingeführt, auch kommen vereinzelte chromatische Alterationen und dreistimmige Akkorde ins Spiel. Die letzten fünf Stücke ­erweitern das Tonartenspektrum noch einmal auf F-Dur und B-Dur.
Die rhythmische Gestaltung Reinagles bezieht vom ersten Menuett an sowohl Viertel- wie Achtelnoten mit ein, in den Folgenummern häufen sich die Achtelbewegungen, auch Sechzehntel werden vorgestellt (Nr. 8) und punktierte Rhythmen (Nr. 15).
Nr. 24 verlangt gar einen steten Wechsel zwischen Triolenachteln und punktierten Achteln mit folgender Sechzehntel. Die Tempovorgaben pendeln von Stück zu Stück zwischen Andante, Alleg­retto und Allegro.
Hans-Günter Heumann hat den Notentext sorgfältig ediert und mit Fingersätzen ausgestattet, zudem bringt er (durchaus sinnvolle) Artikulations- und Dynamikvorgaben mit ein, die in den historischen Ausgaben noch fehlen. So erhält man eine melodisch reizvolle, die SchülerInnen kaum je überfordernde Sammlung von Übungs- und Vorspielstücken, die das cantable Spiel, erste Ansätze polyfonen Denkens und auch das Formbewusst­sein zu fördern vermögen.
Vielleicht ist es an der Zeit, auch die anspruchsvolleren, in der Tra­dition Carl Philipp Emanuel Bachs stehenden vier Philadelphia Sonatas von Reinagle für den Mittelstufen-Klavierunterricht neu zu entdecken.
Rainer Klaas