Satie, Erik

3 Morceaux en forme de Poire

für Klavier zu vier Händen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2014
erschienen in: üben & musizieren 5/2014 , Seite 59

Um das Jahr 1900 befand sich Erik Satie in einer Schaffenskrise. Die Bekanntschaft mit der Oper Pelléas et Mélisande seines Freundes Claude Debussy erwies sich für ihn zwar als überaus faszinierend, trug jedoch noch weiter zur Verunsicherung des Komponisten bei: „Ich muss etwas anderes finden, sonst bin ich verloren“, sagte er zu Jean Cocteau. Als Ausweg aus dieser Krise erwies sich dann die kompositorische Beschäftigung mit bereits geschriebenen Werken, die schlussendlich in der Voll­endung seines Zyklus der 3 Mor­ceaux en forme de Poire resultierte, der Drei Stücke in Birnenform.
Bis auf eines beziehen sich alle diese Stücke – im Übrigen sind es insgesamt sieben, nicht drei! – auf frühere Kompositionen Saties, die er zu einer Art zusammenfassender Rückschau bündelte. Gleichzeitig markieren die „Birnenstücke“ den Beginn eines neuen Satie-Stils in konsequenter Abkehr von jener Musik, wie Debussy sie schrieb. Dass er sich dabei erstmals des Genres der vierhändigen Klaviermusik bediente, mag einerseits dem Ge­danken entsprungen sein, diese dezidiert bürgerliche Musizierform mit neuen Inhalten zu füllen, andererseits dem Wunsch, gerade dadurch seiner Musik auch bei Nicht-Profis Bekanntschaft zu verschaffen. Mit Erfolg: Schon früh gehörten die „Birnenstücke“ zu Saties beliebtesten Kompositionen.
Nun liegen die 3 Morceaux im Rahmen der Urtextausgabe des Bärenreiter-Verlags vor. Der Musikwissenschaftler und Schriftsteller Jens Rosteck firmiert als Herausgeber. In einem sehr inst­ruktiven Vorwort informiert er über die Entstehung des Werks und dessen Verortung im Œuvre Saties, ebenso über die mehrdeutige Titelgebung – „Poire“ kann im Französischen sowohl „Birne“ als auch „Trottel“ bedeuten! – und natürlich über die der Ausgabe zu Grunde liegenden Quellen. Im Anhang findet sich dann noch ein ausführlicher kritischer Kommentar, leider nur auf Englisch.
Für den Spieler indes sind die aufführungspraktischen Hinweise des Pianisten Steffen Schleiermacher, der sich intensiv mit der Musik Saties auseinandergesetzt hat, von größter Bedeutung. Oberflächlich betrachtet, stellen die „Birnenstücke“ keine allzu großen technischen Herausforderungen. Auf pianistische Brillanz um ihrer selbst willen, die Satie ohnehin fern lag, ist verzichtet. Nichtsdestoweniger finden sich, oft überraschend, doch einige vertrackte Passagen, insbesondere auf dem Gebiet der Rhythmik und Dynamik. Und um ein natürlich wirkendes Legato zu gewährleisten, nötigt der Gebrauch des Pedals höchste Sensibilität ab.
Schleiermacher gibt gerade auf diesem Gebiet äußerst nützliche Tipps. Ebenso unterbreitet er Vorschläge für das passende Tempo jedes einzelnen Stücks; ein Studium dieses ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Texts ist für jeden Spieler ein Gewinn. Zu guter Letzt erfährt man auch noch die deutschen (und englischen) Übersetzungen von Saties gelegentlich skurrilen Tempo- und Vortragsbezeichnungen. Diese Urtextausgabe dürfte der Musik Saties zahlreiche Freunde hinzugewinnen!
Thomas Schulz