Fauré, Gabriel

5 Impromptus

für Klavier, Urtext, hg. von Jean-Pierre Bartoli

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2021
erschienen in: üben & musizieren 1/2022 , Seite 61

Als praxisfreundliche Teilausgabe aus der neuen wissenschaftlichen Gesamtedition der Werke Gabriel Faurés veröffentlicht Bärenreiter mit 5 Impromptus einen der wichtigen pianistischen Werkblöcke des 1845 geborenen Komponisten und Saint-Saëns-Schülers. Während die 13 Nocturnes ebenso wie die 13 Barcarolles, allesamt zwischen 1875 und 1921 entstanden, die (nicht immer geradlinige) stilistische Entwicklung von Faurés vier letzten Schaffensjahrzehnten recht umfassend darstellen, beschränkt sich die Entstehungszeit der 5 Impromptus auf die Jahre 1881 bis 1909. Gleichwohl zeigt sich auch hier, speziell im 5. Imp­romptu in fis-Moll op. 102, die Bereitschaft und Fähigkeit Faurés, auch noch als Mittsechziger mit neueren und neuesten Entwicklungen der französischen Musik Schritt zu halten, in diesem Falle durch die Auseinandersetzung mit der Ganztonmelodik, wie sie vor allem Claude Debussy und Faurés Schüler Maurice Ravel, zwei bzw. drei Jahrzehnte jünger als Fauré, seit Anfang des 20. Jahrhunderts quasi als „Markenzeichen“ entwickelt hatten.
Alle Impromptus von Fauré – der Gattungstitel meint nicht eine niedergeschriebene Improvisa­tion, sondern eher eine spontan in Angriff genommene Komposition – rekurrieren weitgehend auf das Vorbild der vier Impromptus von Frédéric Chopin, betten also in ein etüdenartiges Geschehen einen lyrischeren Mittelteil ein. Der stärkste Kont­rast entsteht dabei im Marguerite Long gewidmeten 4. Impromp­tu Des-Dur op. 91: Das Tempo wechselt vom anfänglichen „Allegro non troppo“ in der Mitte zu einem „Andante molto moderato quasi adagio“ in cis-Moll, das dem Komponisten Freiraum für atemberaubende harmonische Experimente schafft, bevor er in der Reprise des fünfminütigen Stückes auf das beeindruckende virtuose Spielgeschehen des Anfangs zurückkommt. Das 1. Imp­romptu Es-Dur op. 25, eine Studie in Arpeggien-Techniken beider Hände, lose angelehnt an Chopins As-Dur-Etüde op. 10 Nr. 10, verblüfft auch heute noch durch eine melodische Eleganz, die niemals in den Sog einer salonesken Effekthascherei gerät, sowie durch ein Raffinement der harmonischen, feinrhythmischen und klavierklanglichen Valeurs, wie es nach Chopin und vor Fauré wohl nur der mittlere Liszt, fünfzehn Jahre später vielleicht der junge Skrjabin zu notieren verstanden.
Die vom Sorbonne-Professor Jean-Pierre Bartoli betreute Ausgabe orientiert sich nicht so sehr an der nach Faurés Tod bei Hamelle erschienenen Ausgabe aller fünf Stücke, sondern an den jeweils zeitnah edierten Einzelausgaben der Verlage Hamelle (Nr. 1-3) bzw. Heugel (Nr. 4-5). Zweifelsfälle, Unstimmigkeiten, Ergänzungen werden auf überzeugende Weise im Notentext kenntlich gemacht bzw. im editorischen Kommentar diskutiert. Das Notenbild samt Wendestellendisposition erscheint mustergültig, Fingersätze sind – zum Glück – nur an wenigen Stellen und optisch diskret appliziert.
Rainer Klaas