Korbel, Peter

50 Songs nur mit Powerchords & Full Energy

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bosworth, Berlin 2014
erschienen in: üben & musizieren 4/2015 , Seite 60

Powerchords sind die Basis für viele musikalische Stilrichtungen der härteren gitarristischen Gangart und werden von vielen GitarrenanfängerInnen als erster Griff gelernt. Kein Wunder, denn für den Akkord aus Grundton und Quinte benötigt man nur zwei Saiten, kann ihn auf dem Griffbrett hin- und herschieben und so schnell den einen oder anderen Punk- und Rock-Klassiker nachspielen. Eine Sammlung von 50 Songs, die mit Powerchords gespielt werden können, klingt daher nach vielversprechendem Anfängermaterial.
Leider hält der Titel nicht ganz, was er verspricht. Im Inneren findet man 50 Stücke aus den verschiedensten Stilen: Von Punkrock über Pop und Classic Rock bis hin zu aktuellem Teeniepop von Justin Bieber ist alles dabei. Bei der Auswahl orientierte man sich aber nicht daran, ob der Originalgitarrenpart Powerchords enthält oder nicht. Stattdessen gibt es im Stil eines klassischen Lagerfeuer-Songbooks die notierte Gesangsmelodie mit einer rudimentären Akkordbegleitung, die alle Dur- und Mollakkorde der Originale durch Powerchords ersetzt.
Das führt je nach Song zu sinnvollen (American Idiot) oder leicht bizarren (Stairway To Heaven) Ergebnissen. Um komplexere Akkorde darstellen zu können, führt Korbel verminderte und übermäßige Powerchords ein – ein mir bis jetzt nicht bekanntes harmonisches Phänomen. Daraus resultieren Akkordbezeichnungen wie G#+5 (normalerweise als E/G# bezeichnet) oder G-5, was man auch missverständlich als G-Minor interpretieren könnte. Ob es Sinn macht, jazzige Songs wie Moon Over Bourbon Street oder das charakteristische Intro von Stairway To Heaven mit simplen Zweiklängen zu harmonisieren, darf zumindest angezweifelt werden. Der Anfänger dürfte sicherlich wenig klang­liche Ähnlichkeit mit dem Original feststellen können, was keine ­inspirierende Erfahrung für das weitere Üben ist.
Tabulatur oder Positionen für Akkorde fehlen ebenfalls völlig. Einige Songintros, z. B. Nothing Else Matters oder Every Breath You Take, sind zwar in Noten aufgeschrieben, dürften aber den Nachwuchsgitarristen, der nur Powerchords kennt, lesetechnisch überfordern.
Was bleibt, ist eine Sammlung von Stücken, die dazu dienen kann, flüssig die Grundtöne von Powerchords auf dem Griffbrett zu suchen. Hat man das geschafft, ist die pädagogische Mission von 50 Songs nur mit Powerchords & Full Energy erfüllt. Die ein- bis zweiseitigen Song-Leadsheets enthalten weder die genaue Songstruktur noch Akkordqualitäten, von Fills, Melodien oder Originalriffs ganz zu schweigen.
Sinnvoller wäre es gewesen, Songs auszuwählen, die aus Powerchords kreierte Riffs beinhalten, und diese mit genaueren Spielhinweisen zu versehen – die Rockgeschichte bietet hierzu massenhaft Anschauungsmaterial. So bleibt Korbels Buch eine etwas unbefriedigende Angelegenheit und Nachwuchs­gitar­ris­tInnen greifen vielleicht doch lieber zum klassischen Liederbuch oder zu echten Transkriptionen.
Martin Schmidt