Rosenblatt, Alexander

8 Etudes in Jazz Style for Piano

Für junge Virtuosen mit kleinen Händen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2019
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , Seite 59

Der russische Komponist und Pianist Alexander Rosenblatt hat schon einige, zumeist virtuose Klavierwerke veröffentlicht. Die acht Etüden in verschiedenen Jazzstilen sind extra für kleine Hände komponiert. Im Vorwort spricht der Komponist von „talentierten 8- bis 11-jährigen Kindern“. Die sind aber sicher nicht die Zielgruppe für diese hervorragenden Konzertetüden, die im Schwierigkeitsgrad zwischen den Jazzetüden von Milan Dvorák und Nikolai Kapustin liegen.
Kinder wären mit den jeweils etwa zehnseitigen Stücken in jeder Hinsicht überfordert, sowohl was den Umfang als auch die harmonische und rhythmische Komplexität anbelangt. Fortgeschrittene Jugendliche und StudentInnen jedoch haben sicher viel Freude mit den klanglich äußerst reizvollen Etüden, die in jeder Hinsicht ausgesprochen gut und jazzideomatisch klingen – auch bei komplexen technischen Aufgabenstellungen wie ungewöhnliche Läufe, Arpeggien und polyrhythmische Bewegungsmuster.
Blues- und Boogieformen werden in Rotation in blue und Stridge-Boogie in temperamentvoller, bewegungsintensiver Art behandelt. Beide Hände agieren gleichberechtigt, auch manchmal verschachtelt, und bedienen sich zudem leicht zu spielender Doppelgriffe. Bei Take Blues erzeugen die Walking-Bässe einen unwiderstehlichen Drive, welcher von geschickt phrasierten Figurationen der rechten Hand unterstützt wird. Die Etüde Take 5 ist eine im Swingrhythmus zu spielende, ungemein lebhafte Auseinandersetzung mit dem Fünfertakt, gewürzt mit stets überraschenden harmonischen Wendungen und chromatischen Verdichtungen.
In Latino durchzieht ein Samba-Rhythmus schwungvoll die ganze Etüde, Quartenakkorde und zahlreiche Querstände bereichern das harmonische Geschehen. Die einzige Etüde in lang­samem Zeitmaß, der klanglich aparte Jazzefina Waltz, ermöglicht ein ausgefeiltes melodisches Spiel in der Klangbalance zu den vier- und fünfstimmigen Akkorden der linken Hand. Im Rubato-Mittelteil werden unabhängige Rhythmen (2/3 und 3/4) trainiert. Die beiden Etüden Arpeggios und Clementi swings erinnern in ihren Bezügen zu den klassischen Vorbildern daran, dass Czernys Schule der Geläufigkeit oder Clementis Gradus ad parnassum schon in Arbeit sein sollten, um diese Stücke angemessen ausführen zu können.
Durch die merkwürdige Ankündigung von Autor und Verlag mit der irrtümlichen Ausrichtung auf Kinder (nicht zu verwechseln mit der Tatsache, dass alles für kleine Hände konzipiert ist) verfehlen diese wirklich außergewöhnlich guten Jazzetüden möglicherweise ihre Zielgruppe. Neben Jugendlichen und Studierenden werden sicher auch ambitionierte erwachsene Laien an dieser Sammlung ihre Freude haben. Zur Weiterentwicklung der Spieltechnik mit Skalen, Doppelgriffen, Arpeggien und Akkorden wird jeder etwas finden, der sich mit diesen Stücken befasst, sei es zum Studium oder Vortrag.
Christoph J. Keller