Martin, Frank

8 Préludes

pour le piano

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2014
erschienen in: üben & musizieren 3/2015 , Seite 56

Der aus Genf stammende Frank Martin wurde 1890 geboren, 28 Jahre nach Debussy, 16 nach Schönberg. Ein Studium der Mathematik und Physik an der Universität Genf brach er 1910 ab, um sich ganz dem Komponieren zu widmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg übersiedelte er 1946 in die Niederlande und übernahm von dort aus von 1950 bis 1957 in der Nachfolge von Philipp Jarnach eine Professur für Komposition an der Musikhochschule Köln, wo Stockhausen für kurze Zeit sein Schüler wurde. 1974 verstarb Martin an seinem Wohnort Naarden in der Nähe von Amsterdam.
In seinem vielseitigen Schaffen gibt es unter den wenigen Klavierstücken den überragenden Zyklus der 8 Préludes, der 1947/ 48 entstand und 1949 bei der Universal Edition erschien. Das Werk war für Dinu Lipatti geschrieben, der aber 1950 verstarb, bevor er es aufführen konnte. Martin hat die 8 Préludes selbst öffentlich gespielt; ­eine mit ihm produzierte Aufnahme ist nicht mehr auf dem Markt.
Martin hat sein Opus mit einer Gesamtdauer von 20 Minuten genau bezeichnet: Alle Stücke enthalten Metronomzahlen sowie Angaben über die Dauer in Minuten und Sekunden; zudem ist das (rechte) Pedal ganz exakt notiert. Der Pianist Paul Badura-Skoda hat in die neu herausgegebene Ausgabe Fingersätze übertragen, die der Komponist 1960 für eigene Aufführungen erarbeitet hatte. Zusätzlich hat der Editor gelegentlich Varianten zur Applikatur offeriert. Martin hat jedes Stück durch Überschriften wie z. B. Andantino grazioso oder Tranquillo ma con moto charakterisiert. An etlichen Stellen hat er noch weitere Hinweise zur Interpretation gegeben.
Worte, die Begriffe wie Singen bzw. Espressivo suggerieren, benutzt Martin häufig, hat er doch viele Vokalwerke geschaffen. Ein der menschlichen Stimme adäquates Denken setzt er bei Inst­rumentalistInnen ebenfalls voraus. Er ist ein sehr interessanter Tonschöpfer, der sich mit vielen neuen Entwicklungen wie z. B. der Dodekafonie beschäftigt hat, aber die Tonalität nicht aufgab. Mit kontrapunktischer Meisterschaft hat er seinen ganz persönlichen Platz zwischen Bach, Romantik und Schönberg gefunden.
Altmeister Badura-Skoda hat langjährig mit Martin zusammengearbeitet und mehrere von dessen Kompositionen uraufgeführt. In seinem trefflichen Vorwort zur neuen Edition vermittelt er u. a. Anspielungen auf Bach, Chopin und Schönberg und überliefert Martins scherzhafte Bezeichnung „le petit Bach“ für das zweite Prélude. Baduras gründliche Kenntnis des Schweizer Komponisten und seines Schaffens bilden eine überzeugende Grundlage für die hier entstandene revidierte Ausgabe, die – ohne dass der Herausgeber sie so benannt hat – einer Urtext-Ausgabe entspricht, die hervorragend ist. Frank Martin und sein Meisterwerk 8 Préludes pour le piano verdienen große Aufmerksamkeit – und nicht zuletzt exzellente, intelligente InterpretInnen.
Peter Roggenkamp